Das Netzwerk
in jenen Brunnen, der zu den Paradiesgärten führt, von wo aus er für die Gläubigen Wunder wirkt? Oder den Schrein Hodscha Ahmad Yasawis in Kasachstan, des Gründers der Bruderschaft, die seinen Namen trägt? Oder das Grab Alis in Shah e Mardan im usbekischen Farg’ona-Tal? Oder das Grab des großen Baha-ud-Din Naqschband in Buchara, und des Yakub Charki in Dagestan? Rawls’ Gäste verneinten jedes Mal, aber das wollte noch nicht viel heißen. Wahre Sufis durften schließlich nicht zugeben, dass sie einer Bruderschaft angehörten. Wichtig war nur, dass Rawls diese Frage überhaupt stellte.
«Was zum Teufel geht hier vor?», fragte Taylor laut, nachdem er das Band bis zum Schluss abgehört hatte. Dann beschloss er, Stanley Timmons aufzusuchen. Der Bürochef hatte sich für den Nachmittag zum Golf verabredet, aber auf Taylors Drängen hin verschob er den Termin. Mit Rawls’ Band in der Aktentasche flog Taylor nach Ankara. Timmons erwartete ihn gemeinsam mit seinem Stellvertreter im Büro.
«Kann ich Sie unter vier Augen sprechen?», fragte Taylor.
«Wenn’s denn sein muss», erwiderte Timmons und begleitete seinen Stellvertreter mit einer Entschuldigung zur Tür. Dannwandte er sich wieder Taylor zu. «Was gibt’s denn so Wichtiges? Warum dieses überstürzte Treffen?»
«Stanley», begann Taylor. «Eines muss ich vorab wissen, und bitte geben Sie mir eine ehrliche Antwort.»
«Sicher», sagte Timmons. «Wenn es mir möglich ist.»
«Haben Sie in Istanbul eine streng geheime NO C-Operation laufen, von der ich nichts weiß? Und mischt dabei ein Kerl mit dem Decknamen Rawls mit, der sich als kanadischer Filmemacher aus Vancouver ausgibt?»
«Wie lautet sein richtiger Name?»
«Woher soll ich das wissen?»
«Hmmm», machte Timmons. «Nein, ich glaube nicht. Zumindest nicht, soweit ich mich erinnere. Aber wenn wir tatsächlich eine solche Operation laufen hätten, dürfte ich Ihnen das natürlich ohnehin nicht sagen. Sie wüssten ja längst davon, wenn das Teil des Plans wäre. Aber nein, zu dem Namen Rawls fällt mir wirklich nichts ein.»
«Dann habe ich wohl schlechte Neuigkeiten für Sie. Ich glaube, da ist jemand hinter Ihrem Rücken zugange.»
«Unmöglich.»
«Sind Sie sich da sicher?», fragte Taylor in skeptischem Ton.
Timmons kratzte sich am Kopf. «Eigentlich nicht. Zumindest nicht hundertprozentig. Es ist durchaus schon vorgekommen, wenn auch selten, dass ich über so was nicht informiert werde.»
«Wann denn zum Beispiel?»
«Wenn es Probleme mit der Tarnung gibt. Wenn die Zentrale einen NOC mit einer besonders heiklen Mission schickt, dann will sie vielleicht, dass er jeden Kontakt zur Botschaft meidet. Das wäre möglich. Manchmal schicken sie auch NOCs als Verwaltungsbeamte oder USI A-Leute direkt in die Botschaft, diedann natürlich keinerlei Kontakt mit mir als Stationschef der CIA haben dürfen. Hat es alles schon gegeben.»
Timmons räusperte sich nervös und zündete sich eine Zigarette an. Offenbar bereitete ihm die Vorstellung, dass da möglicherweise ohne sein Wissen etwas am Kochen war, zunehmend Beklemmungen.
«Vielleicht», fuhr er fort, «verraten Sie mir erst einmal ein paar Details über diese Operation, die da angeblich hinter meinem Rücken durchgeführt wird.»
«Mit Vergnügen. Aber erst müssen Sie mir noch was versprechen.»
«Und was?»
«Dass Sie in der Zentrale nicht erzählen, wie ich an die Informationen gekommen bin.»
«Wie kann ich Ihnen das versprechen? Vielleicht haben Sie dabei ja Dienstvorschriften verletzt.»
«Habe ich nicht.»
«Also gut, in Ordnung. Ich verspreche es. Und jetzt erzählen Sie mir schon von diesem … wie war noch gleich sein Name?»
«Rawls. Zumindest operiert er unter diesem Namen. Zum ersten Mal habe ich ihn vor etwa einem Monat in Omar Gaspralis Bar in Beyazit gesehen.»
«Und wer in aller Welt ist Omar Gasprali?»
«Er stammt aus einer tatarischen Familie, die vor langer Zeit von der Krim vertrieben wurde, und führt eine Bar, eine Art Treffpunkt für Emigranten aus Zentralasien. Da gehen sie alle hin, ertränken ihren Kummer im Alkohol und tun so, als würden sie demnächst ihr jeweiliges Vaterland befreien.»
«Weiter, weiter.» Timmons’ Neugier war geweckt. Er gierte nach Details wie ein gehörnter Ehemann, der ganz genau wissen will, was seine Frau ihm angetan hat.
«Ich war einmal dort, spätabends, mit George Trumbo. Er war aus Athen rübergekommen, um mir in der Kunajew-Sache unter die Arme zu
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