Das neue Evangelium
der Stimme.
»Man kann nicht sarazenisch aussehen«, erwiderte Uthman.
»In meinen Augen schon. Du beispielsweise siehst sarazenisch aus.«
»Sarazenen sind keine Rasse, sie gehören einem Stamm an, der seine Heimat in Sinai hat. Nur die Kreuzfahrer konnten sie nicht von allen anderen Arabern unterscheiden. Ebenso wenig könnte ich behaupten, du würdest so abendländisch aussehen.«
»Spitzfindig, mein Freund! Deine Nase ist lang und gekrümmt, deine Augen dunkel, dein Haar wild und schwarz, deine Gestalt sehnig und kräftig. Und in deinem Gürtel steckt ein Krummschwert. Also bist du ein Sarazene.«
»Ihr seid kein besserer Beobachter als ein Kind, mein Freund«, erwiderte Uthman unwillig. »Denn jedes Kind würde diese Beschreibung abgeben. Doch wisst Ihr, wie es in mir aussieht?«
»Warum sollte ich das wissen? Wenn du ein Sarazene bist, dann ist es in dir schwarz wie in einer mondlosen Nacht. Sonst gibt es da drinnen nichts.«
»Ihr wollt mit mir streiten? Ihr sucht Händel?«
»Aber nicht doch. Du sollst lediglich meine Frage beantworten. Ich schätze es nicht, wenn man das nicht tut.«
»Und ich schätze es nicht, von einem Fremden angesprochen zu werden, der sich nicht einmal vorstellt.«
»Mein Name tut nichts zur Sache. Was tust du in Lapethos?«
»Was jeder hier tut – ich atme.«
»Weiter!«
»Ich sehe.«
»Was noch? Was führst du im Schilde?«
»Ich beabsichtige, aufdringliche Fragesteller in fünf Stücke zu hauen – mit meinem sarazenischen Krummschwert, an dem bereits das Blut einhundert anderer Menschen klebt, die nicht wussten, wann der Fragerei ein Ende sein sollte.«
Der Mann stutzte. Dann sagte er: »Du bist frech!«
»Und du kannst mich mal, Fremder!«
Uthman stand auf und ließ den Mann einfach stehen. Er ging in das Gasthaus, dessen Eingang mit einem Vorhang verhängt war. Uthman hatte gesehen, dass in der Ferne Ludolf von Suchen mit seinem Gepäck aufgetaucht war. Uthman wollte den Freunden seine Ankunft melden.
Im Palast des französischen Konnetabels von Lapethos ging es hoch her. Der Statthalter Guido von Zypern war an diesem Morgen gezwungen gewesen, einen Vertreter der griechischen Regierung zu maßregeln. Es hatte einen heftigen Streit gegeben, Guido war noch immer erhitzt.
»Sie nennen uns schlichtweg Franzosen, egal, woher unsere Leute kommen, die seit den Kreuzzügen hier geblieben sind!«, rief Guido. »Wir können Franzosen, Venezianer, Genueser, Bretonen oder Provenzalen sein! Aber das schert sie nicht im Geringsten. Sie machen überhaupt keinen Unterschied. Darin drückt sich ihre Geringschätzung aus. Ich werde mir eine solche Behandlung nicht bieten lassen!«
»Konnetabel!«, sagte sein Berater, ein noch junger Mann mit dunkler Haut, »Ihr habt Recht! Und doch schlage ich vor, das auf sich beruhen zu lassen, denn einen Streit mit den einheimischen Behörden kann das Herrscherhaus der Lusignans sich nicht erlauben.«
»Es würde meinem verehrten Bruder, unserem König Heinrich, und seiner hochedlen Gattin Constanze von Aragon gefallen, wenn wir die Macht, die wir besitzen, auch deutlich machen«, sagte der Konnetabel. »Den Lusignans hat es immer gefallen, kraftvoll aufzutreten. Wer Kompromisse sucht, ist immer auf der schwächeren Seite.«
»Aber die Wirkung kann verheerend sein!«, warf der Berater ein. »Außerdem hat Guido von Lusignan Zypern damals nur gekauft, um ein Stück Land zu haben, und seinen Nachfolgern ist gleich, was hier geschieht.«
»Er hat sie von den Templern gekauft, denen Zypern einst gehörte, das ist wahr«, sagte der Konnetabel. »Aber als angeheirateter König von Jerusalem brauchte er einen starken Herrschersitz, und es war ihm nicht egal, welche Verhältnisse er hier vorfand, er hat sie stark geprägt. Und die nachfolgenden Lusignans haben durchaus ein großes Interesse daran, was hier geschieht! Zypern ist inzwischen zum wichtigsten französischen Staat im Osten geworden, und wir sind seine Vertreter! Ich muss mein Haus lenken, Montfort, sonst nichts. Wenn hier alles aus dem Ruder läuft, wird es dem König auch nicht gefallen. Also greife ich lieber durch.«
»Das zu Recht, Herr Guido, denn in Zypern rumort es. Die Zustände hier auf der Insel erinnern mich immer an ein tosendes Meer bei heftigem Gewitter. Nach aufgewühlter See kommen irgendwann Meeresruhe und Windstille, doch auf Zypern vergrößert sich das Unglück mit jedem Tag und nimmt kein Ende. Hierher spült es die unseligsten Existenzen.«
»Ihr redet
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