Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition)
und kann kein BIV sein. Thema erledigt. Moore beruft sich auf so etwas wie den gesunden Menschenverstand. Er versucht klarzumachen, dass ein Skeptiker mit seiner BIV-Hypothese keine Argumente für seine Hypothese bringen kann, die plausibler sind als Moores einfaches Argument für die Existenz seiner Hände. Es ist abwegig zu glauben, keine Hände zu haben, also sollten wir das Vorhandensein von Händen an den Ausgangspunkt der Argumentation setzen und nicht irgendeine verrückte Spekulation über ein Gehirn, das im Einmachglas schwimmt. Aber für die meisten ist das Argument nicht besonders überzeugend, weil es wieder wie ein Zirkelschluss aussieht: Wenn ich ein BIV bin, dann würde mir der Computer eben vorgaukeln, Hände zu haben, das Hochheben der Hände würde gar nichts beweisen, und ich bin am Ende so klug wie am Anfang.
Ein anderer Konter befasst sich damit, was das Wort «wissen» eigentlich bedeutet. Wie hoch der Standard ist, den wir an unser Wissen legen, hängt vom Kontext ab, so könnte man argumentieren. Wenn wir die Latte wirklich sehr hoch hängen, dann müssen wir uns eingestehen, nicht zu wissen, ob wir ein BIV sind oder nicht, damit auch nichts über die Existenz unserer Hände und überhaupt sehr wenig. Aber die meiste Zeit haben wir kein Interesse an so einem hohen Standard; für gewöhnlich kann die Behauptung «Ich habe Hände» locker als Wissen durchgehen. So gibt man zwar zu, dass die BIV-Leute mit ihrem Einwand recht haben, aber man wirft deshalb nicht gleich jede Form von Wissen weg.
Der Nachteil: Der Begriff Wissen wäre nicht mehr besonders klar definiert. Ob das ein Problem ist oder nicht, darüber kann man streiten. Wir sind solche kontextabhängigen Begriffe aus ganz anderen Zusammenhängen gewohnt. In fast allen Situationen würde man unter einem Zwerg jemanden verstehen, der deutlich kleiner ist als die meisten anderen Leute, also vielleicht unter 1,40 Meter. Im Kontext eines Basketballspiels könnte man jedoch mit einiger Berechtigung einen 1,80 Meter großen Spieler als Zwerg bezeichnen, weil die meisten anderen Spieler viel größer sind. Wenn so eine begriffliche Schwammigkeit bei Körpergrößen funktioniert, warum nicht auch beim Wissen? Zum Beispiel, so könnte man dagegenhalten, weil man bei der Körpergröße jederzeit klarstellen kann, was man eigentlich meint, z.B. mit Hilfe einer Messlatte. Beim Wissen ist das schon deutlich schwieriger.
Die Liste der Argumente gegen ein BIV-Szenario ist lang, die meisten sind deutlich komplexer als die hier beschriebenen Beispiele, und keines kann restlos alle Skeptiker überzeugen. Viele begnügen sich damit, dem Skeptiker einen Knochen hinzuwerfen und ihm ansonsten aus dem Weg zu gehen – sie schaffen die Bedrohung durch Einmachgläser nicht aus der Welt, sondern umschiffen sie geschickt. Aber auch der Einmachglasskeptiker macht Zugeständnisse: Er sagt, dass es wirklich möglich ist, ein Gehirn im Glas zu sein, womit er offenbar schon etwas über die Welt zu wissen glaubt, nämlich über die Möglichkeiten, die in der Welt realisiert sein könnten. Außerdem behauptet er, dass seine Argumente logisch und vernünftig sind, womit er etwas über die Welt wissen muss, nämlich etwas über die Verlässlichkeit von Logik und Vernunft.
Wer wirklich radikal sein will, muss auch dieses Wissen noch über Bord werfen. Was natürlich nicht schwer ist – der Computer könnte so programmiert sein, dass er uns glauben lässt, unsere Argumente seien logisch und vernünftig. Sogar das schon erwähnte Nichtwiderspruchsprinzip könnte eine Illusion sein. Dieser Weg ist nicht ungefährlich. Als Erstes wird das schöne Einmachglasszenario widersprüchlich, denn um es vorzubringen, benötigt man eben genau die logischen Grundbausteine, die man gerade über Bord geworfen hat. Man kann dann eben nicht mehr plausibel argumentieren, weil man die Maßstäbe für Plausibilität nicht mehr unterschreibt.
Aber dann wieder könnte der Skeptiker einfach sagen: «Mir doch egal.» Letztlich gibt es nichts, was einen zwingen könnte, vernünftig zu argumentieren. Es gibt keine wirklich zwingenden, vernünftigen Argumente. Man kann ebenso gut aus dem ganzen Geschäft des Denkens aussteigen und es sein lassen. Diese Entscheidung steht jedem frei. Es klingt wie eine bequeme Lösung, aber wer das tut, sollte sich darüber im Klaren sein, was aus ihm wird. Der radikalste Skeptiker ist in Aristoteles’ Sinne ein Gemüse: Er darf zwar weiterhin behaupten und
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