Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition)
eigentlich ausschließen sollten – ob etwas sich links- oder rechtsherum dreht oder ob etwas eine Welle ist oder ein Teilchen –, Ausdruck einer übergeordneten Eigenschaft sein sollen, die die vermeintlichen Gegensätze vereint. Wie überraschend dieser Gedanke ist, demonstriert Erwin Schrödinger mit Hilfe der legendären Katze, die so lange in einem Zustand verharrt, in dem sie weder tot noch lebendig ist, bis jemand hinsieht und sie sich entscheiden muss. Wenn eine Katze so etwas kann, wieso sollte es für unsere Argumente verboten sein?
Für Aristoteles ist das Weltwissen ein Gebäude, das auf wenigen Säulen ruht. Wem das nicht passt, der könnte sich Wissen als eine Raumstation vorstellen, die frei im All schwebt und ihre Stabilität nicht daraus bezieht, wie stark sie im Boden verankert ist, sondern daraus, wie gut ihre Bestandteile miteinander verbunden sind. Jedes Wissensfragment ist mit zahlreichen anderen Bausteinen vernetzt, die wiederum mit anderen Bausteinen in Verbindung stehen. Mein vermeintliches Wissen über Nachbars Hund lässt sich daher nicht auf ein paar unbezweifelbare Fundamente zurückführen, sondern ruht auf einer Vielzahl von anderen Wissensfragmenten, die alle einzeln angezweifelt werden dürfen. Wenn man die Argumente über den Hund nur in eine solide Wissensraumstation einbaut, kann man ihnen trauen.
Bis jemand kommt und die gesamte Raumstation auf einmal zum Absturz bringt, was die Absicht des Skeptikers ist. Skeptiker behaupten, dass wir viel weniger wissen, als wir immer behaupten, im Extremfall gar nichts. Ein beliebtes Spiel unter Epistemologen, so heißen die Philosophen, die sich mit diesen Wissensfragen herumschlagen, ist das Ausdenken und Widerlegen von solchen skeptischen Positionen. In welcher Form diese Position formuliert wird, hängt von der Zeit ab, in der man so lebt. René Descartes, Philosoph im 17. Jahrhundert, dachte über die Existenz eines «bösen Geistes» nach, der seine Sinne manipuliert und für ihn eine vollständige Illusion der Außenwelt aufbaut, einschließlich der Illusion, dass es andere Leute gibt.
Böse Geister sind heute nicht mehr so beliebt, dasselbe Argument taucht aber mit anderen, technologischen Metaphern auf. Die bei Philosophen populärste Variante ist das «Gehirn im Glas»-Szenario (auf Englisch «brain in the vat» oder BIV). Es könnte doch sein, so der Skeptiker, dass mein Gehirn von kompetenten →Außerirdischen geklaut wurde und in einem Einmachglas in einer Nährlösung herumschwimmt. Über Elektroden ist das Gehirn mit einem Supercomputer verdrahtet, der es mit Sinnesreizen versorgt, sodass ich glaube, in genau der Welt zu leben, die ich mir normalerweise so vorstelle, mit Stühlen, Häusern, Menschen, Sternen und Rundgesichtsmakaken. Ich habe keine Möglichkeit zu unterscheiden zwischen der echten Welt, in der das Gehirn in einem Schädel eingebaut ist, der an einem Körper hängt und so weiter, und einer Welt, die vom Supercomputer vorgegaukelt wird. Infolgedessen ist alles, was ich so über die Welt zu wissen glaube, nichtig. Wenn einem die Vorstellung von Gehirnen, die irgendwo herumschwimmen, zu eklig ist, kann man sich stattdessen gern vorstellen, dass das Gehirn im Körper belassen wird, aber trotzdem alle Informationen vom Supercomputer bekommt. Dann schwimmt eben der gesamte Körper in einem Behältnis, so wie es zum Beispiel im Film «Matrix» vorgeführt wird.
Betrachten wir die Frage, ob ich Hände besitze, die zunächst so aussieht, als könnte ich sie klar und eindeutig beantworten. Ein Gehirn im Glas hat natürlich keine Hände, ihm wird nur vorgemacht, es habe welche. Wenn ich also nicht weiß, ob ich ein BIV bin, dann kann ich auch nicht wissen, ob ich Hände habe, so der Skeptiker. Äußert man solche Gedanken am Kneipentisch, dann lautet die normale Reaktion vermutlich «Ach, komm», woraufhin eine neue Runde bestellt wird, und für die meisten von uns ist die Sache damit erledigt. Aber ein paar Leute müssen sich trotzdem stellvertretend für uns alle damit befassen, dieses Argument, das auf so radikale Art unser gesamtes Wissen untergräbt, unter die Lupe zu nehmen.
Ein berühmtes Gegenargument, vorgebracht vom englischen Philosophen George Edward Moore im Jahr 1939, stellt die Sache auf den Kopf: Wenn ich ein BIV bin, kann ich nicht wissen, ob ich Hände habe. «Hier ist eine Hand», sagte Moore und hebt eine Hand, «und hier ist noch eine», und hebt die andere. Somit weiß ich, dass ich Hände habe,
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