Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition)
10,81 (Bor), 12,01 (Kohlenstoff), 14,01 (Stickstoff), 16,00 (Sauerstoff), 19,00 (Fluor). Die Reihe überspringt ein paar Zahlen, aber ansonsten arbeitet sie sich gleichmäßig von kleinen zu großen Zahlen vor. Aber besonders viel kann diese Art Erklärung nicht, denn leider gibt es genug andere Benford’sche Zahlenansammlungen, die überhaupt nichts mit Zählen zu tun haben, die Flächen von Flüssen zum Beispiel.
Die zweite Gruppe der Erklärungen behauptet in etwa Folgendes: Vielleicht entstehen die meisten Zahlen durch Multiplikation von vielen anderen Zahlen. Hier ein einfacher Weg, diesen Vorgang zu simulieren: Wie schon erwähnt, ist das Multiplizieren von Zahlen genau dasselbe wie das Addieren ihrer Logarithmen. Das Addieren von ein paar willkürlich ausgewählten Zahlen erzeugt wiederum eine ziemlich willkürliche Zahl. Man nehme eine Dartscheibe, auf der eine Reihe von Zahlen abgedruckt ist, werfe einen Pfeil irgendwo auf diese Scheibe, ohne zu zielen, und man hat eine willkürliche Zahl erzeugt. Jetzt der entscheidende Punkt: Die Zufallszahl von der Dartscheibe wäre der Logarithmus der gewünschten Zahl, das heißt, man muss 10 mit dieser Zahl potenzieren, um zum Ergebnis zu kommen. Dieser Vorgang jedoch erzeugt in etwa 30 Prozent der Fälle eine Zahl, die mit 1 anfängt, eine Eigenschaft der Logarithmusfunktion. Ausprobieren ist in diesem Fall hilfreich. Die zehn Logarithmen 2,0, 2,1, 2,2 usw. bis 2,9 ergeben, wenn man 10 mit ihnen potenziert, vier Zahlen, die mit 1 anfangen, eine mit 2, zwei mit 3, eine mit 5, eine mit 6, eine mit 7. Wirft man nur lange genug auf die Dartscheibe mit Logarithmen, ergibt sich tatsächlich Benfords Gesetz.
Diese Art Erklärung ist plausibel und schwieriger zu verwerfen, aber sie ist trotzdem nicht ideal. Sie sagt einfach: «Wenn die Benford’schen Zahlenreihen so und so entstehen, dann müssen sie dem Gesetz folgen.» Ob eine bestimmte Zahlenreihe wirklich so entsteht, darüber weiß sie nichts. Außerdem liefert sie keine Handhabe, um unterscheiden zu können zwischen Zahlenansammlungen, die dem Gesetz folgen, und eben den anderen. Eine saubere Herleitung sieht jedenfalls anders aus.
Der dritte Ansatz, Benfords Gesetz zu erklären, fängt von hinten an. Anstatt zu fragen, wie die Zahlen, die ihm folgen, entstehen könnten, untersucht man das Gesetz selbst. Wenn so ein Gesetz wirklich irgendeinen universalen Charakter hat, dann sollte es nicht nur bei uns gelten, sondern auch bei →Außerirdischen, egal, welche Einheiten und welches Zahlensystem sie verwenden. Wenn Börsenkurse dem Benford’schen Gesetz folgen, dann sollten sie das tun, egal, ob man sie in Dollar oder Euro oder Arkturischen Peseten angibt, denn universale Gesetze wissen nichts von Wechselkursen. Und die Zahlenreihe sollte immer noch dem Gesetz folgen, wenn man sie zum Beispiel ins Binärsystem umwandelt, das nur die Ziffern 1 und 0 kennt, oder in ein Zahlensystem, das 28 verschiedene Ziffern hat und nicht nur 10.
Diese Matheaufgabe ist nicht einfach, aber wenigstens schon gelöst. Seit Ende der 1990er ist dank der Arbeit von Ted Hill und anderen eins klar: Wenn es ein Gesetz gibt, das die Häufigkeit der Ziffern in der ersten Stelle von Zahlen beschreibt, dann muss es das Benford’sche Gesetz sein, denn es ist das einzige, das nicht von der Wahl der Einheit und des Zahlensystems abhängt. Das ist zwar schön, klärt aber auch wieder nur einen Teil des Problems. Offenbar machen viele Vorgänge in der Welt, die Zahlen erzeugen, keinen Unterschied zwischen großen und kleinen Zahlen. Man kann einfach alle Zahlen mit einer Konstante multiplizieren, und die Welt läuft genauso weiter. Naturgesetzen ist es egal, ob man sie mit großen oder kleinen Zahlen füttert, oder im Mathematikerkauderwelsch: Sie sind «skaleninvariant». Das ist eine wichtige und nicht selbstverständliche Eigenschaft der Welt, aber warum das so ist, bleibt unklar.
Vielleicht ist es einfacher, die Mathematik erst mal wegzulassen, das Gesetz zu behandeln wie eine Laborratte und es gründlich in allen möglichen Situationen durchzutesten. Es ist einfach, sich Zahlenreihen auszudenken, die garantiert nichts mit Benfords Gesetz zu schaffen haben. Berliner Telefonnummern zum Beispiel – alle fangen mit der Vorwahl 030 an, keine einzige mit 1. Oder die Körpergewichte aller Deutschen, die älter als 18 sind, angegeben in →Kilogramm. Die meisten dürften mit 6, 7 oder 8 anfangen und nur wenige mit 2.
Genauso einfach ist es auch,
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