Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition)
Zahlenreihen zu generieren, die exakt Benfords Gesetz entsprechen. Zum Beispiel kann man die Dartscheiben-Erkenntnis zu Hilfe nehmen und Zufallszahlen miteinander multiplizieren. Multipliziert man eine Serie aus Zufallszahlen zwischen 0 und 1, dann erhält man schon nach 10 Iterationen eine Zahlenfolge, deren Ziffern dem Gesetz recht gut folgen.
Eine andere Variante, Benfordserien zu erzeugen, sind mathematische Reihen. Die Fibonacci-Zahlen zum Beispiel: Man fängt mit 0 und 1 an. Jede folgende Zahl berechnet man, indem man die beiden vorhergehenden zusammenzählt, also 0, 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21 und so weiter. Nach einer Weile erhält man einen perfekten Benford-Zahlensatz. Dasselbe gilt für die Serie 2, 4, 8, 16, 32 …, die man erhält, wenn man eine Zahl immer wieder verdoppelt, und viele andere solcher einfachen Zahlenfolgen. Aber es gibt interessante Ausnahmen: Man beginne mit einem Wert X. Die weiteren Zahlen der Serie berechne man, indem man die vorhergehende Zahl mit sich selbst multipliziert und 1 dazuzählt. Die so entstehende Zahlenkolonne folgt Benfords Gesetz – für fast alle Werte von X. Zum Beispiel gibt es eine Wunderzahl X = 9,949623 …, für die alle Zahlen der Serie mit 9 anfangen, keine einzige mit 1. Solche absurden Ausnahmen machen wenig Hoffnung auf eine allgemeine Regel, die alle Fälle abdeckt.
Noch undurchsichtiger wird die Sache, wenn man sich Datensätze ansieht, wie man sie in der freien Wildbahn findet, zum Beispiel, indem man sie aus willkürlichen Zeitungsartikeln abschreibt. Die Informatiker Paul Scott und Maria Fasli von der Universität Essex in England sahen sich im Jahr 2001 unter anderem die 20 Zahlenreihen an, von denen Benford sein Gesetz ableitete, also: P(d) = log(1 + 1/d). Ihre Schlussfolgerung: Nur drei von ihnen sind wirklich dicht an diesem Gesetz dran, acht weitere stimmen einigermaßen. Bei den restlichen ist die 1 zwar immer noch die häufigste Anfangsziffer, aber ansonsten sind sie weit davon entfernt, dem Gesetz vorschriftsmäßig zu folgen. Benford hat offenbar mit der Statistik geschludert.
Nach dieser ernüchternden Erkenntnis suchten sich Scott und Fasli ihre eigenen Daten zusammen, um Benfords Gesetz zu testen, was mit Hilfe des Internets angenehm leichtfällt. Sie untersuchten 230 Datensätze mit insgesamt mehr als einer halben Million Zahlen. Die meisten davon stimmen überhaupt nicht mit Benfords Gesetz überein. Von den 30, auf die das Gesetz einigermaßen zutrifft, stammen die meisten übrigens aus den Statistiken des Landwirtschaftsministeriums der USA. Obwohl es einfach ist, Zahlenkolonnen zu finden, in denen die 1 als erste Ziffer am häufigsten vorkommt, sind solche, die wirklich einigermaßen zuverlässig dem exakten Benford-Gesetz entsprechen, gar nicht so weit verbreitet.
Was kann man aus diesen verwirrenden Ergebnissen schließen? Scott und Fasli liefern ein paar einfache Regeln, denen alle Datensätze genügen, die Benfords Gesetz folgen: Sie sollten keine negativen Zahlen enthalten, und sie dürfen nicht nur einen kleinen Zahlenbereich abdecken wie die oben erwähnten Körpergewichte. Natürlich folgen nicht alle Zahlenreihen, die diese Kriterien erfüllen, dem Benford-Gesetz; eine Serie aus Zufallszahlen zwischen 0 und einer Million zum Beispiel hat mit Benford nichts zu tun. Scott und Fasli glauben, das sei nicht so schlimm: Benfords Gesetz sei wirklich nur ein seltsames Feature von bestimmten Datensammlungen, und es gebe keinen Bedarf für weitere Erklärungen. Auf der anderen Seite des Spektrums der Benford-Forscher stehen jedoch Leute wie die Chinesen Lijing Shao und Bo-Qiang Ma, Physiker von der Universität Peking, die 2010 in einer ordentlichen wissenschaftlichen Publikation meinten, das Benford-Gesetz sei womöglich eine tiefgründige Eigenschaft des Universums und verlange nach einer Erklärung.
Aber Benfords Gesetz kann noch mehr, als Angehörige diverser akademischer Disziplinen zu verwirren. Man kann es zum Beispiel einsetzen, um mathematische Modelle zu testen. Wenn man ein Modell hat, das Vorhersagen für, sagen wir, Börsenkurse ausspuckt, und wenn die echten Börsenkurse in der Vergangenheit Benfords Gesetz folgten, dann sollten die Vorhersagen für die Zukunft dies auch tun: «Benford in, Benford out», so die Faustregel. Mark J. Nigrini, heute Professor in New Jersey, zeigte in seiner Doktorarbeit im Jahr 1992, dass viele Zahlenansammlungen, die man in der Buchhaltung von Firmen findet, dem Gesetz genügen, und
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