Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition)
Blick für das Unwissen zwischen den Zeilen wissenschaftlicher Nachrichten sei jetzt hinreichend geschärft, dann legen Sie es bitte zur Seite und schlagen stattdessen, sagen wir, ein Mathematikbuch für die siebte Klasse oder den Wikipediaeintrag über Granit auf. Was darin steht, wird Ihnen – wie jedem normalen Erwachsenen – ebenso neu sein wie Nachrichten von der vordersten Front des wissenschaftlichen Fortschritts. Aber es ist mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit (siehe →Wissen) auch noch richtig.
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Außerirdisches Leben
Wenn die Beschaffenheit eines Himmelskörpers der Bevölkerung natürliche Hindernisse entgegen setzet: so wird er unbewohnt seyn, obgleich es an und vor sich schöner wäre, daß er Einwohner hätte.
Immanuel Kant, «Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels», 1755
Wenn auf der Erde irgendwas Seltsames auftaucht, dauert es geschätzte drei Minuten, bis jemand auf die Idee kommt, dass Außerirdische im Spiel sind. Außerirdische haben Stonehenge gebaut, sie erzeugen kuriose Leuchterscheinungen am Himmel, sie werfen mit komischen Dingen auf die Erde, haben Hitler und Elvis verschleppt und werden sich zudem für den Untergang der Menschheit zu verantworten haben (hinterher).
Warum wir Außerirdische immer wieder so hart rannehmen, ist klar: Sie bieten deshalb eine so gute Erklärung für alles, was man nicht erklären kann, weil wir nichts über sie wissen. Wir verwenden sie als Unwissensstrohmann und setzen sie überall dort ein, wo es nicht weitergeht – die große vereinheitlichende Erklärung für diese ganzen kleinen dreckigen Details, an denen in Wissenschaftlerhirnen zurzeit gearbeitet wird. Dabei verliert man manchmal aus den Augen, dass eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Wissenschaftlerhirnen sich unmittelbar mit der Suche nach außerirdischem Leben befasst. Mit bemerkenswerten Fortschritten – ein Lexikoneintrag über extraterrestrisches Leben sollte eigentlich nur als Loseblattsammlung (oder im Internet) veröffentlicht werden, damit man wöchentlich Updates vornehmen kann.
Leider ist es hier nicht mit einer einzigen schlauen Idee getan. Am einfachsten wäre es vermutlich, wenn morgen ein paar Aliens bei uns landen würden. Vorteilhaft natürlich, wenn sie ein wenig so sind wie wir, damit wir sie erkennen können, aber nicht exakt so wie wir, damit wir sie von uns unterscheiden können. So eine Invasion aus dem All passiert zwar in schöner Regelmäßigkeit, aber nur in Kontexten, die im wissenschaftlichen Diskurs eher wenig geschätzt werden, zum Beispiel in Kinofilmen oder Verschwörungstheorien.
Notgedrungen machen wir uns selbst auf die Suche nach Spuren von Leben im All, das nicht auf der Erde entstanden ist. Weil alles im Weltall weit weg ist und alles weit Entfernte kriminell klein erscheint, suchen wir die meiste Zeit nicht nach konkreten Lebewesen, denn die sind für uns unsichtbar. Es sei denn, die Lebewesen sind so groß wie Galaxien (oder sie sind Galaxien). Stattdessen suchen wir nach den Rahmenbedingungen für die Entstehung von Leben, nach Orten, die die richtige Temperatur oder die richtigen chemischen Elemente haben. Wer bei dem Wort «richtig» im letzten Satz schlucken musste, hat vollkommen recht.
Es ist nämlich so: Wir müssen uns erst einmal darauf einigen, wonach wir eigentlich Ausschau halten. Man kann keine Pilze suchen, ohne eine Idee davon zu haben, was Pilze sind und was sie vom Rest das Waldes unterscheidet. Genauso wenig kann man Leben suchen, ohne eine Vorstellung davon zu haben, was belebte Materie von unbelebter unterscheidet. Würden wir ein Megalebewesen von der Größe einer Galaxie noch als solches erkennen? Was ist mit Leben, das aus unerfindlichen Gründen im Innern von Sternen stattfindet, wo die Temperatur mehrere Millionen Grad Celsius beträgt? Oder im Innern eines Pulsars (einer schnell rotierenden Sternenleiche), wo der Druck so groß ist, dass Atome zerquetscht werden?
Fragen, auf die wir keine endgültigen Antworten wissen. Zum Glück ist die Wissenschaft nicht dazu da, endgültige Antworten zu geben. Fürs Erste reicht es aus, sich plausible Argumente auszudenken, warum Leben so und so sein muss und eben nicht ganz anders. Diese Argumente sind unter Astrobiologen – Wissenschaftler, die sich mit Leben im Universum befassen – hart umkämpft. Definieren klingt einfach, man beschließt etwas, und so ist es dann eben, aber damit eine Definition brauchbar ist, muss sie die Phänomene, die
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