Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition)
so selten: Aus den letzten zehn Jahren sind weltweit um die hundert Fälle dokumentiert. In Zeitungsberichten ist dabei häufig von Rekordhaltern um die 200 Kilogramm die Rede. Da das Eis beim Aufprall zersplittert, lassen sich Größe und Gewicht des ursprünglichen Blocks allerdings meistens nur schätzen. Relativ gut belegt sind einige Funde, die vor dem Auseinanderbrechen 50 bis 100 Kilogramm gewogen haben könnten.
Im 20. Jahrhundert maß man dem Phänomen keine große Bedeutung bei. Man ging davon aus, dass herabfallende Eisbrocken von Flugzeugen stammen, ohne diese Vermutung weiter zu überprüfen. Abwasser aus Flugzeugtoiletten, leckende Wassertanks oder Eis, das sich irgendwo an Flugzeugen bildet und dann abbricht, galten als Ursache des Übels. Das änderte sich erst, als in Spanien im Januar 2000 zehn Tage lang Eisstücke vom Himmel fielen, die zwischen 300 Gramm und über 3 Kilogramm wogen. «Die Vereinte Linke (IU) verlangte im Parlament von der Regierung eine Erklärung», so berichtete der Spiegel , aber die Regierung blieb eine Antwort schuldig. Das Problem betrifft nicht nur Spanien; auch in Argentinien, Australien, Deutschland, Großbritannien, Kanada, Kolumbien, Indien, Italien, Japan, Mexiko, Neuseeland, den Niederlanden, Österreich, Portugal, Spanien, Südafrika, Schweden und den USA gab es Eiseinschläge.
Das gehäufte Auftreten der spanischen Fälle brachte die Forschung in Gang. Der spanische Geologe Jesús Martínez-Frías nahm sich der Sache an, gab den Megacryometeoren ihren Namen und gründete die International Working Group Fall of Blocks of Ice (IWGFBI). Dank seiner Arbeit ist inzwischen klar, dass zumindest die untersuchten Eisfunde weder aus Flugzeugtoiletten oder -wasserleitungen noch aus dem Weltall stammen können. Ihre chemische Zusammensetzung entspricht der des Regenwassers in der jeweiligen Region. Martínez-Frías und seine Coautoren nehmen daher an, dass sich die Megacryometeore nach demselben Prinzip wie Hagelkörner aus Wasserdampf in der Atmosphäre bilden. Dafür spricht auch ihre innere Struktur: Wie Hagelkörner weisen viele Megacryometeore zwiebelartige Schichten auf, wie Hagelkörner enthalten sie Luftblasen und Staubpartikel. Trotzdem gibt es mehrere Probleme: Megacryometeore fallen gern bei blauem Himmel und Sonnenschein. Hagelkörner jedoch entstehen in Gewittern und nur dort. Auch kommt ein Hagelkorn selten allein.
Die typischen Schichten eines Hagelkorns lagern sich ab, während es eine Weile im Innern einer Gewitterzelle Aufzug fährt: Es fällt als Eis aus höheren Luftschichten, nimmt unten mehr Wasser auf und wird vom Aufwind wieder nach oben gerissen, wo das neue Wasser gefriert. Erst wenn das Hagelkorn zu schwer für den Aufwind wird, fällt es zu Boden. Einzelne Hagelkörner können unterwegs aneinander festfrieren und kommen dann als größere, unregelmäßig geformte Stücke am Boden an. Der Weltrekordhalter unter den Hagelkörnern fiel 2003 in den USA und maß knapp 18 Zentimeter im Durchmesser.
Wie in Abwesenheit von Gewitterwinden und bei blauem Himmel wesentlich größere Eisstücke entstehen sollen, ist erklärungsbedürftig. Martínez-Frías und seinen Kollegen zufolge haben sich die Wetterverhältnisse in den entscheidenden Luftschichten durch die globale Erwärmung verändert. Der Ort dieser Veränderungen ist die Obergrenze der untersten Atmosphärenschicht, der Troposphäre. Die Troposphäre ist je nach Region und Jahreszeit etwa 8 bis 18 Kilometer dick und wird auch Wetterschicht genannt, weil sich in ihr der überwiegende Teil des Wetters abspielt. Der Übergang von der Tropo- zur Stratosphäre, die sogenannte Tropopause, so die Forscher, sei in den letzten Jahrzehnten kälter, feuchter und windiger geworden. Insbesondere zur Zeit der spanischen Eisvorfälle sei die Troposphäre wärmer und die Stratosphäre kälter als sonst gewesen. In einer solchen Situation könnten einzelne Eiskristalle mehrfach durch feuchte, kalte Luftschichten geweht worden sein und – genau wie ein Hagelkorn im Gewitter – neue Eisschichten angesetzt haben. Der Meteorologe Roy W. Spencer hält dem entgegen, dass die in Spanien beobachteten Bedingungen nicht sehr ungewöhnlich sind, sondern mit vielen Wetterfronten einhergehen. Andere Kritiker wenden ein, selbst wenn der Prozess so funktionierte wie beschrieben, könnten nur große Schneeflocken entstehen.
Sind also doch die Flugzeuge schuld? Dass sich regelmäßig Eisbrocken von Flugzeugen lösen und auf die
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