Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition)
subjektiven Bewusstsein – ist ein bisschen wie Speiseeis: Es gibt die Qualia in ganz vielen Farben und Geschmacksrichtungen. Die Erscheinung roter Farbe ist ein in der Fachliteratur oft benutztes Beispiel, aber jeder Sinneseindruck und jeder bewusste Gedanke hat ein zugehöriges Quale, und wenn man Qualia wahrnehmen kann, dann gibt es sogar für die Wahrnehmung von Qualia ein Quale.
Und das gilt nicht nur für Menschen. Der Philosoph Thomas Nagel von der New York University hält in einem berühmten Aufsatz das Interviewmikrophon sogar einer Spezies unter die Hufeisennase, die gar nicht in vernünftiger Tonlage antworten kann, und fragt: «Wie fühlt es sich an, eine Fledermaus zu sein?» Die Antwort steht noch aus.
Auf den ersten Blick erscheint es vielleicht, als sei das alles gar kein Problem, die Dinge fühlen sich eben irgendwie an und fertig, aber das stimmt natürlich nicht so ganz. Es stimmt nämlich gar nicht. Dass wir das Problem zunächst nicht sehen, liegt in der Theory of Mind begründet, die uns im Kapitel über →Funktionelle Magnetresonanztomographie schon begegnet ist: Wir erleben uns selbst als Personen mit einem Körper, und wir legen diese Annahme auch bei der Beobachtung anderer zugrunde: Der Mensch hat ein Ich, und dieses Ich kontrolliert einen Körper, der es mit Sinneseindrücken versorgt, die das Ich dann mittels seines Bewusstseins wahrnimmt. Und diese geistige Instanz, die da wahrnimmt, erzeugt eben auch die Qualität dieses Wahrnehmens, die damit auch eine Eigenschaft geistiger Vorgänge wäre. So weit, so bereits unrettbar verfahren.
Denn unserer Vorstellung von der materiellen Wirklichkeit liegt die Physik zugrunde und, vielleicht noch grundlegender, der Gedanke der Kausalität und Gesetzmäßigkeit an sich. Wenn der Körper auf eine bestimmte Weise agieren soll, oder wenn man spricht, müssen sich Muskeln bewegen. Das tun Muskeln aber nur, wenn sie durch elektrische und biochemische Signale dazu ermuntert werden. Wenn diese Signale von geistigen Prozessen ausgelöst werden sollen – wenn man sich zum Beispiel entscheidet, eine heiße Herdplatte anzufassen –, müssen diese geistigen Prozesse kausal auf den Körper einwirken. Dann sind es aber keine geistigen Prozesse mehr, weil das Attribut «geistig» ja gerade einen Gegensatz zur physikalischen Körperlichkeit darstellen sollte. Wenn man gerne das Geistige retten möchte, weil man zum Beispiel an eine unsterbliche Seele glaubt, klafft zwischen diesem Geistigen und den Nervensignalen und der verbrannten Hand eine kausale Erklärungslücke. Philosophen nennen sie die «ontologische Lücke», vermutlich, weil das ganz lustig klingt.
Darüber, wie man diese lustige Lücke schließen könnte, herrscht das Gegenteil von Einigkeit. Das ist natürlich kein Wunder, eine Lücke ist schließlich ein →Loch und damit an sich schon ein seltsames Gerät, aber die ontologische Lücke hat es zusätzlich in sich. Eine Zeitlang wurde sie häufig mit der Behauptung geschlossen, dass das Bewusstsein eben gar keine kausale Kraft habe und ein sogenanntes Epiphänomen sei. Epiphänomene sind Dinge, die gewissermaßen nebenbei entstehen, während eigentlich was ganz anderes passiert. Zugvögel fliegen zum Beispiel oft in V-Formation, der deutlich besseren Aerodynamik wegen. Die Tatsache, dass dabei für uns der Buchstabe V lesbar wird, könnte man ein Epiphänomen des Formationsflugs nennen. Es folgt daraus nämlich nicht, dass als Nächstes O-, G-, E- und L-Formation geflogen würden. Wenn Bewusstsein zwar geistige Substanz, aber ein Epiphänomen ist, dann wird es zwar von der materiellen Welt verursacht, hat aber selbst keinerlei kausale Kraft. Das heißt, ob ein bestimmtes Erlebnis im Bewusstsein stattgefunden hat oder nicht, kann das Verhalten des Organismus in keiner Weise verändern. Dann gibt es keine ontologische Lücke mehr, weil die ja gerade auf der kausalen Wirkung des Geistigen beruhte.
Wenn man aber Qualia und das subjektive Bewusstsein zu einem Epiphänomen erklärt, kommt man ebenfalls in sonderbare Schwierigkeiten, nur in andere. Zum Beispiel würde das bedeuten, dass man zwar subjektive Erlebnisse haben, aber hinterher nicht darüber reden kann. Denn wie erwähnt, bewegt sich kein Muskel ohne kausale Ursache, und wenn man den Mund aufmacht aufgrund eines Erlebnisses, dann hatte das Ergebnis also kausale Kraft. Und schon gähnt wieder die Lücke.
Ein anderer Ausweg ist, die Existenz von Qualia gleich komplett zu leugnen. Wenn es
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