Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition)
Befruchtungswahrscheinlichkeit erhöht, und drittens, dass durch diese erhöhte Befruchtungswahrscheinlichkeit Frauen mit Orgasmen ihre Gene erfolgreicher unters Volk bringen. Auch das versteht sich nicht von selbst, denn die erfolgreiche Befruchtung ist nicht unbedingt der Engpass der Vermehrung, wie wir im Kapitel →Brüste gesehen haben.
Dass es beim Orgasmus zu rhythmischen Kontraktionen der weiblichen Geschlechtsorgane kommt, ist unumstritten. Vielleicht, so vermuteten einige Forscher in den 1980er Jahren, ist der weibliche Orgasmus ja nur eine Hilfestellung für den Mann? Dagegen spricht, dass die Weibchen einiger Tierarten, darunter auch Primaten, genau diese Kontraktionen auch ohne Orgasmus zustande bekommen. Bei mehreren anderen Primatenarten hingegen haben Verhaltensforscher inzwischen das Auftreten von Orgasmen beobachtet (und in Experimenten ausgelöst; ein überraschender Aspekt des Primatologen-Berufsbilds). Da Äffinnen auf die Frage «Wie war ich?» keine brauchbare Antwort geben, beruhen diese Orgasmusidentifikationen auf Indizien wie vaginalen und analen Spasmen und dem «Klimaxgesicht» und lassen entsprechend Raum für Streitigkeiten. Die Primatinnen verursachen zusätzliche Erklärungsmühe, indem sie diese Orgasmusanzeichen gern beim Masturbieren und bei homosexuellen Praktiken zeigen, aber selten bis gar nicht bei der klassischen Kopulation.
Einer Hypothese des Sexualwissenschaftlers Milton Diamond und der Anthropologin Sarah Blaffer Hrdy zufolge ist gerade die Unzuverlässigkeit des weiblichen Orgasmus eine evolutionäre Anpassungsleistung. Mensch und Tier halten an einer gelernten Verhaltensweise dann am hartnäckigsten fest, wenn sie in unregelmäßigen Abständen belohnt wird. Elisabeth Lloyd wendet gegen diese Theorie ein, im Tierversuch funktioniere diese Art der Konditionierung nur, wenn das gewünschte Verhalten zunächst ganz regelmäßig verstärkt wird. Anfangs belohnt man das Tier jedes Mal, wenn es das Richtige tut, später nur noch in unregelmäßigen Abständen. Gegen Lloyds Einwand spricht wiederum, dass Psychologen dieselbe Erklärung auch für andere menschliche Verhaltensweisen heranziehen, ohne dass sich dagegen bisher großer Widerspruch erhoben hat. Insbesondere in der Erklärung der Automatenspielabhängigkeit spielt die unregelmäßige Belohnung eine wichtige Rolle, und Automaten konditionieren ja auch nicht jeden Neuling zunächst einmal mit einer Gewinnserie.
Der Anthropologe und Evolutionspsychologe Donald Symons plädiert dafür, den weiblichen Orgasmus gar nicht als Anpassungsleistung zu betrachten, sondern auf die gleiche Art zu erklären wie die Tatsache, dass Männer Brustwarzen haben: Das Vorhandensein von Brustwarzen ist für Frauen wichtig, weil sie zum Stillen benötigt werden. Brustwarzen aber werden bereits angelegt, bevor sich in der achten Schwangerschaftswoche männliche und weibliche Embryonen unterschiedlich zu entwickeln beginnen. Auf diese Art bekommen Männer quasi als Nebenergebnis des Selektionsdrucks auf die Frau ebenfalls Brustwarzen mit auf den Weg, es schadet ja nichts. Männliche und weibliche Genitalien entwickeln sich aus denselben Bauteilen, und es scheint eine gemeinsame neurologische Grundlage für den Reflex zu geben, der die Muskelkontraktionen beim Orgasmus beider Geschlechter auslöst.
«Es gibt keine überzeugenden Belege dafür», schreibt Symons, «dass die natürliche Auslese orgasmusfähige Frauen bevorzugt, weder in der Entwicklung der Säugetiere noch im menschlichen Stammbaum. Ebenso wenig lässt sich belegen, dass die weiblichen Genitalien irgendeiner Säugetierart durch natürliche Auslese auf größere Effizienz beim Orgasmus hin entwickelt wurden.» Für Symons ist der weibliche Orgasmus ein Potenzial, das bei allen Säugetieren vorhanden ist, aber nur bei einigen wenigen Arten aktiviert und genutzt wird.
Christopher Ryan, selbst Autor eines Buchs über die Frühgeschichte der menschlichen Sexualität, übt in einer Amazon-Rezension scharfe Kritik an Elisabeth Lloyds Zusammenfassung der Forschungslage: «Lloyds Argumentation beruht auf Studien aus Großbritannien und den USA – zwei der sexuell unterdrücktesten Kulturen, die es je auf diesem Planeten gab. (…) Sie behauptet schlicht, dass nur etwa 20 Prozent aller Frauen immer oder fast immer beim Verkehr zum Orgasmus kommen, ohne diese Daten in einen kulturellen Kontext einzuordnen; mir als Leser kommt das eklatant unwissenschaftlich vor.»
Es gibt zwar nicht
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