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Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition)

Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition)

Titel: Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Passig , Aleks Scholz , Kai Schreiber
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Ergebnissen gelangen könnte.
    Andere empirische Daten über niedrigere Strahlungsdosen stammen aus Studien an Patienten, die aus medizinischen Gründen bestrahlt wurden, beruflich einer höheren Strahlenbelastung ausgesetzt sind, in der Nähe von Kernkraftwerken, in stark radonbelasteten Wohnungen oder in Gegenden mit hoher natürlicher Strahlung leben. Die Ergebnisse dieser Studien sind aus verschiedenen Gründen uneindeutig und umstritten. Zum einen können sie, wie schon im Zusammenhang mit dem Thema →Ernährung erläutert, nur statistische Zusammenhänge aufzeigen und so beim Erzeugen von Hypothesen helfen, diese Hypothesen aber nicht beweisen. Dazu kommen Störvariablen (denen wir im Kapitel →Übergewicht wiederbegegnen werden), wie zum Beispiel die Frage, ob die untersuchten Personen Raucher sind und, wenn ja, ob sie das Ausmaß ihres Zigarettenkonsums korrekt eingeschätzt und wahrheitsgemäß angegeben haben. Außerdem ist die untersuchte Stichprobe oft nicht zufällig genug, um der Gesamtbevölkerung zu entsprechen.
    Einigermaßen unumstrittene epidemiologische Daten gibt es daher nur im Zusammenhang mit den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki und erst ab einer Dosis von etwa 200 Millisievert. Alles, was darunter liegt, muss aus den japanischen Daten extrapoliert oder aus Studien entnommen werden, deren Aussagekraft begrenzt ist. In beiden Fällen ist das Ergebnis Interpretationssache, wovon alle Interessengruppen ausgiebig Gebrauch machen. Alles, worüber man im Zusammenhang mit Strahlung am Arbeitsplatz, in Gebäuden oder nach Kernkraftwerksunfällen gern Bescheid wüsste, spielt sich ein bis vier Größenordnungen unter diesem Bereich ab. Die zusätzliche Strahlenbelastung in Deutschland durch Tschernobyl beispielsweise lag direkt nach dem Unfall bei 0,07 Millisievert pro Jahr, heute sind es 0,01 Millisievert. Rund um Fukushima wurden nach dem Kraftwerksunfall alle Gebiete evakuiert, in denen eine Jahresdosis über 20 Millisievert zu erwarten gewesen wäre.
    Im Zusammenhang mit Strahlungsrisiken ist häufig zu hören, da man über die Folgen nicht so genau Bescheid wisse, sei es doch besser, «sicherheitshalber» auf eine bestimmte Lösung zu setzen, zum Beispiel die Grenzwerte für Strahlung so niedrig wie möglich festzulegen. Das klingt zunächst gut und funktioniert auch bei einer bestimmten Art von Problemen, nämlich denen, deren Alternative das Nichtstun ist. Leider sind diese Probleme extrem selten. Wer sich fettarm ernährt, nimmt dafür mehr Kohlenhydrate zu sich und umgekehrt (→Übergewicht), und wer sich vor Flugzeugabstürzen fürchtet, wird mehr mit dem Auto fahren und sich dabei pro Strecke einem höheren Unfallrisiko aussetzen als im Flugzeug. Genauso ist es bei Strahlungsrisiken. Jede Entscheidung hat wirtschaftliche, psychologische und gesundheitliche Vor- und Nachteile, die gegeneinander abgewogen werden müssen; die Option des Nichtstuns gibt es nicht. Im medizinischen Bereich könnte man auf Bestrahlung zu Diagnose- und Therapiezwecken verzichten, müsste aber in Kauf nehmen, dass dieselben Menschen, die man so vor der Strahlung schützt, dafür an Fehldiagnosen und unbestrahltem Krebs sterben. Auch bei Atomkraftwerken ist die Alternative nicht einfach nur kein Atomkraftwerk, sondern eine andere Form der Energieerzeugung mit anderen Nachteilen. Die Steuergelder, die in die Aufklärung der Bevölkerung über Radon in Wohnräumen und die Radonsanierung von Wohnungen fließen, stehen nicht mehr für andere Zwecke zur Verfügung, obwohl es nicht an anderen Verwendungszwecken mangelt, bei denen ein Zusammenhang zwischen Kosten und Nutzen klarer ist als in der Radonfrage. Siedelt man nach einem Reaktorunglück vorsichtshalber die Bewohner verstrahlter Gebiete um, setzt man sie einer psychischen Belastung aus, die ihrerseits Folgen hat. Es gibt keine «sichere Seite».
    Auf dem Ultra-Low-Level Radiation Effects Summit 2006 in Carlsbad, New Mexico, plädierte ein Expertenpanel für die Gründung eines «Ultra-Low-Level Radiation»-Labors, das die Auswirkungen sehr geringer Strahlung auf Versuchstiere und Zellkulturen untersuchen und die Ergebnisse mit Kontrollgruppen vergleichen soll. Nur so seien die offenen Fragen aufzuklären und der Streit zwischen LNT-, Schwellenwert-, supralinearem und Hormesis-Modell endlich beizulegen. «Erkenntnisse, die zu weniger strikten Strahlenschutzregelungen führen, könnten allein in den Vereinigten Staaten (…) zu Einsparungen von bis zu

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