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Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition)

Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition)

Titel: Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Passig , Aleks Scholz , Kai Schreiber
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kann, und man kann von vorne anfangen. Das muss man dann so lange treiben, bis sich die Antwort entweder im Nebel der Evolutionsgeschichte verliert und man aus Unkenntnis Feierabend machen kann, oder bis man ein asymmetrisches, fundamentales Prinzip oder Ereignis findet.
    Ein Kandidat für ein solches Ereignis wäre die hübsche Idee, dass wir alle Aliens sind, weil das Leben auf der Erde aus wenigen aus dem Weltall fallenden Makromolekülen entstanden ist. Wie diese Makromoleküle ursprünglich in den Weltraum gekommen sind, ist dabei auch nicht so ganz klar, vielleicht bilden sie sich in kosmischer Strahlung aus vereinzelt rumfliegenden Kohlenwasserstoffen von selbst, vielleicht haben aber auch die →Außerirdischen sie an einer Raststätte ausgesetzt. Immerhin könnte man die Tatsache, dass es auf der Erde überwiegend eine Sorte von ihnen gibt, einfach dadurch erklären, dass eben zufällig nur eine Sorte dieser Lebenssaat vom Himmel gefallen ist. Was übrigens, also das mit dem Vom-Himmel-Fallen, auch für die ganze Theorie gilt. Klingt das an den Haaren herbeigezogen? Oder klingt es vielleicht nicht an den Haaren herbeigezogen genug? Fein. Es gibt nämlich noch einen weiteren Kandidaten.
    Die rätselhafte Asymmetrie in der organischen Welt könnte man also dadurch erklären, dass die biochemischen Reaktionen, die die Moleküle produzieren, selbst asymmetrisch sind und eben bevorzugt eine Variante hervorbringen. Biochemische Reaktionen unterliegen den Gesetzen der Physik, und wenn so eine Reaktion asymmetrisch sein soll, dann müssen es auch die Gesetze der Physik sein. Lange Zeit dachte man aber, dass alle physikalischen Gesetze spiegelsymmetrisch seien. Einerseits dachte man das, weil es keinerlei Hinweise gab, dass es sich anders verhalten könnte, und andererseits, weil ein nicht spiegelsymmetrisches Gesetz sonderbar wäre. Nicht ohne Grund zählt das Unglück, das eine von links kommende schwarze Katze bringen soll, zum Aberglauben und nicht zu den physikalischen Grundkräften des Universums. In der Physik ist der Einfluss schwarzer Katzen auf das Weltgeschehen unabhängig von der Laufrichtung.
    Allerdings wurde 1956 dann überraschend nachgewiesen, dass eine von diesen physikalischen Grundkräften, die «schwache Wechselwirkung», unter bestimmten Bedingungen eben doch eine Asymmetrie aufweist. Diese Entdeckung war so erstaunlich, dass noch vor der Veröffentlichung eine zweite Forschergruppe das Experiment zur Überprüfung wiederholte, mit demselben Ergebnis. Die schwache Wechselwirkung gilt, das merkt man schon am Namen, den ihr die Physiker gegeben haben, als Kümmerling unter den Naturkräften und ist in der Öffentlichkeit auch viel unbekannter als Gravitation oder Elektromagnetismus. Ein bisschen zu Unrecht, denn sie ist immerhin dafür verantwortlich, dass Quarks den Geschmack ändern können, was nicht nur lustig klingt, sondern auch den Beta-Zerfall, eine Form von →Radioaktivität, überhaupt erst möglich macht. Eine Kraft, die Radioaktivität aus Quarkgeschmack erzeugen kann, verdient zweifellos mehr Aufmerksamkeit.
    Und beim Beta-Zerfall eines Kobalt-Isotops, das stellten die beiden Forschergruppen 1956 fest, verhält sich diese Kraft nun eben asymmetrisch. Man kann sich vielleicht vorstellen, wie unerwartet diese Entdeckung kam, wenn man sich vor Augen hält, dass damit die Welt, die man im Spiegel sieht, physikalisch unmöglich wird. Und damit ist nicht nur gemeint, dass der Bauch da im Spiegel unmöglich existieren kann, sondern eben auch, dass hinter dem Spiegel Kobalt anders zerfällt als vor ihm.
    Das ist jedenfalls ein Schluss, den man aus den Experimenten ziehen kann. Man kann aber möglicherweise trotz der Versuchsergebnisse die Symmetrie des Kosmos noch retten, wenn man die Existenz von sogenannter Spiegelmaterie annimmt, die von den mit ihr befassten Physikern manchmal auch Alice-Materie genannt wird, nach den teilweise hinter dem Spiegel spielenden Kinderbüchern von Lewis Carroll. Die Chemiker könnten sich von den Physikern ruhig mal eine Scheibe abschneiden, was lustige und aussprechbare Namen für Sachen angeht. Wenn Alice-Materie (die übrigens auch ein Kandidat für die im «Lexikon des Unwissens» besprochene Dunkle Materie ist) existieren sollte, dann könnte sie nur über die schwache Wechselwirkung mit unserer normalen Materie interagieren. Man könnte sie nicht sehen, fühlen, riechen oder schmecken und würde auch nicht dick, wenn man sie äße, weil sie

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