Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition)
Leben entstand, erklärt die heutige Asymmetrie.
Das ist natürlich in gewisser Hinsicht eine langweilige Theorie. Und weil man, wie auch im «Lexikon des Unwissens» zum Thema Leben zu lesen war, herzlich wenig über die Zeit weiß, in der aus Gemisch Gewürm wurde, ist sie auch ein wenig unbefriedigend. «Könnte so sein, könnte auch anders sein» ist selten, was man sich erhofft, wenn man aufbricht, neue Theorien zu entdecken. Aber vielleicht waren es eben doch die →Außerirdischen, die uns vor Jahrmilliarden linksdrehend angesät haben. Und sollten die dann nächste Woche vorbeikommen, um endlich ihren linksdrehenden Joghurt zu ernten, gäbe es wieder eine offene Frage weniger auf der Welt.
[zur Inhaltsübersicht]
Schocktod
Yeah, I went hunting once. Shot the deer in the leg. Had to kill it with a shovel, took about an hour. Why do you ask?
The Office
Wenn man mit Gewehren auf Tiere oder Menschen feuert, fallen sie tot um. Das ist in den meisten Fällen nicht sonderlich überraschend, eine Kugel zerschlägt ihr Herz oder ihr Hirn, was schnell zum Tod führt, ein wissenschaftlich gut erforschter Zusammenhang. Manche Tiere jedoch fallen tot um, auch wenn sie an keinem lebenswichtigen Organ getroffen worden sind. Woran diese Tiere genau sterben und ob das auch bei Menschen funktioniert, ist unklar. Die Aussicht, jemanden außer Gefecht setzen zu können, ohne ihn richtig zu treffen, ist für viele Schusswaffenbesitzer verständlicherweise sehr attraktiv, daher erfreut sich das Thema bei Jägern, Militärexperten und Munitionsherstellern großer Beliebtheit, oft unter irreführenden Namen wie «Schocktod» oder «hydrostatischer Schock».
Die Wissenschaft, die sich damit befasst, was Geschosse im Körper anrichten können, heißt Wundballistik. Die physikalischen und biologischen Vorgänge beim Eindringen des Geschosses sind äußerst komplex. Innerhalb einer Tausendstelsekunde wird das Geschoss, das zuvor mit einer Geschwindigkeit von 100 bis 1000 Metern pro Sekunde unterwegs war, hart abgebremst; die dabei freiwerdende Energie landet im angeschossenen Körper und richtet dort Schaden an. Die meisten Erkenntnisse der Wundballistik beruhen auf Erfahrung und Experiment. Seit ein paar Jahrzehnten sind Tierversuche weitestgehend tabu; stattdessen schießt man zu Forschungszwecken auf Körper aus Gelatine oder Seife und sieht sich die Vorgänge mit Hilfe von Hochgeschwindigkeitskameras an. Darüber hinaus steht den Wundballistikern ein reichhaltiger Fundus an Erfahrungsberichten zur Verfügung; schließlich werden häufig genug Menschen beschossen, ganz ohne wissenschaftliche Motivation (→Krieg).
Wie viel Schaden ein Geschoss im Körper anrichtet, hängt vor allem von seiner Energie ab. Die kinetische Energie der Kugel wird innerhalb von Mikrosekunden in elastische Energie umgewandelt, mit anderen Worten: Das Gewebe wird gedehnt und gestaucht. Ein eindringendes Geschoss erzeugt abgesehen von dem engen Einschusskanal eine «temporäre Höhle», eine leere Blase im Körper des Getroffenen, die innerhalb von Millisekunden wieder in sich zusammenfällt. Die Entstehung der temporären Höhle wiederum erzeugt Druckwellen, die die entstehende Energie abtransportieren und verteilen. In der Nähe des Schusskanals ist die Belastung auf das Gewebe so groß, dass die Zellen zerreißen. Der sicherste Weg zum Tod ist ein Treffer im Kopf, wo die Hirnschale eine freie Ausdehnung des Gewebes und damit den Abtransport der Energie verhindert. Zum unmittelbaren Tod kann es außerdem kommen, wenn die Atmung oder der Kreislauf zusammenbricht, zum Beispiel durch Treffer am Herzen oder durch Verletzung von großen Blutgefäßen.
Wenn kein lebenswichtiges Organ getroffen wird, gibt es zunächst keinen Grund, warum das Opfer sofort umfallen oder gar sterben sollte. Der übertragene Impuls ist zu klein, um einen Menschen umzuwerfen. Spektakuläre Filmszenen, in denen der Getroffene sofort nach hinten umfällt, wo sich natürlich eine Fensterscheibe bereithält, die in tausend Teile zerspringt, sind jedenfalls frei erfunden. Die Wirkung eines Geschosses hängt jedoch nicht nur vom Geschoss und von der Einschussstelle ab. Zusätzlich spielen Verfassung und Psyche des Opfers eine wesentliche Rolle. Zum Beispiel ist von Bedeutung, womit die Person in dem Moment gerade beschäftigt ist und ob sie mit Beschuss rechnet. Soldaten im Sturmangriff laufen nach einem Treffer oft noch lange weiter, im Unterschied zur alten Frau im Supermarkt, die
Weitere Kostenlose Bücher