Das neue Philosophenportal
Adorno in ihremvierten Essay »Kulturindustrie – Aufklärung als Massenbetrug« den Begriff »Kulturindustrie« verwendeten, war er noch neu und ungewöhnlich. Er bedeutet, dass
Kunst und Kultur nur noch Reklamefunktion haben. Sie passen sich dem Massengeschmack an und degenerieren zur stets konsumierbaren
Fertigware. Der künstlerische Anspruch wird dadurch eingeebnet. Besonders in den modernen Medien wie Film und Unterhaltungsmusik
– die ohnehin nicht Horkheimers und Adornos Sympathie genossen – ist diese Entwicklung ausgeprägt. Das Ergebnis ist ein Massengeschmack
auf niedrigem Niveau, eine »Verkümmerung der Vorstellungskraft und Spontaneität des Kulturkonsumenten«. Der Mensch wird zum
passiven Empfänger von Reizen – für Horkheimer und Adorno ein Spiegelbild seiner politischen und gesellschaftlichen Machtlosigkeit.
Im letzten der großen Essays, »Elemente des Antisemitismus«, schneiden die Autoren ein Thema an, das in der Zeit des Faschismus
besonders aktuell war. Wie Marx in seinem 1843 erschienenen Aufsatz
Zur Judenfrage
glauben sie, dass Antisemitismus ein gesellschaftliches Phänomen ist, das letztlich nur gelöst werden kann, wenn die Herrschafts-
und Machtverhältnisse in der Gesellschaft aufgebrochen werden: »In der Befreiung des Gedankens von der Herrschaft, in der
Abschaffung der Gewalt könnte sich erst die Idee verwirklichen, dass der Jude ein Mensch sei.«
In der Analyse der Ursachen des Antisemitismus verbinden Horkheimer und Adorno eine marxistische mit einer psychoanalytischen
Deutung. Der Hass auf Juden ist umgeleiteter Selbsthass. Antisemitismus ist eine kollektive Projektion, bei der die Täter,
selbst Opfer einer totalitären und verwalteten Welt, ihren in verdrängten Bedürfnissen und Wünschen wurzelnden Selbsthass
nun gegen ein äußeres Objekt, eine andere gesellschaftliche Gruppe richten. Wie überall in der verwalteten Welt, so wird auch
hier die Wahrnehmung der Wirklichkeit auf Stereotype reduziert. So entsteht das Zerrbild »des Juden«, der als Sündenbock herhalten
muss. Befangen im gesellschaftlichen »Verblendungszusammenhang«, machen sich die Antisemiten zu Handlangern derjenigen, von
denen sie selbst unterdrückt werden.
Die
Dialektik der Aufklärung
ist ein tiefschwarzes und melancholisches Buch. Hatten die Marxisten so wie ihr Gründervater Marx noch daran geglaubt, dass
die Geschichte mit Notwendigkeit eine klassenlose Gesellschaft herbeiführen werde, so fehlt bei Horkheimer und Adorno dieser
Glaube völlig. Dennoch gibt es einen Gegenbegriff zu dem Verblendungszusammenhang und der Entfremdung der verwalteten Welt.
Er lautet »Wahrheit«. Wahrheit ist für Adorno und Horkheimer, anders als für viele logisch und analytisch orientierte Philosophen,
nicht in erster Linie eine Eigenschaft von Sätzen und Theorien, sondern eine bestimmte Gestalt, die die Wirklichkeit annimmt.
Es ist der Zustand, in dem wahre Aufklärung verwirklicht ist, Vernunft und Natur miteinander versöhnt sind.
Die leise Hoffnung auf Verwirklichung von Wahrheit, die in dem Buch zuweilen durchschimmert, hat eine gewisse Nähe zur »negativen
Theologie«, die einen Gott annimmt, aber nichts über ihn aussagen will. Wie der alttestamentarische Gott Jahwe, der nicht
beschrieben oder abgebildet werden kann, so bleibt auch der Zustand der Wahrheit im Buch eine nicht beschreibbare Möglichkeit,
die sich nur »negativ«, also nur über das erschließen lässt, was sie
nicht
ist. Im »Unmaß« des »Widersinns« gesellschaftlicher Verhältnisse, so heißt es am Ende des Essays über Antisemitismus, »tritt ... die Wahrheit negativ zum Greifen nahe«.
Auch finden sich immer wieder Hinweise darauf, dass die Kunst ein mögliches, wenn nicht gar vorbildliches Medium der Wahrheit
ist. Gerade Adorno stand als Musiker dieser Sichtweise nahe. Für ihn konnte in der Kunst etwas gelingen, das das begriffliche
Denken der Philosophie nicht zustande brachte: eine Wiedervereinigung von Begriff und Bild, eine Gestaltung der Einheit von
Mensch und Natur und damit eine Perspektive, die eine Überwindung der einseitigen Herrschaft der Vernunft und der Entfremdung
des Menschen sichtbar macht.
Als die
Dialektik der Aufklärung
1947 in Amsterdam erschien, wurde sie kaum beachtet. Auch die Anhänger des Marxismus waren eher vom Geist des Aufbruchs als
vom Geist pessimistischer Kritik beseelt. Georg Lucács, ein neomarxistischer Rivale der Frankfurter
Weitere Kostenlose Bücher