Das neue Philosophenportal
Schule, spottete über Adorno, dieser hätte es sich im »Hotel Abgrund«
bequem gemacht.
Als sich aber die gesellschaftskritische 68er Generation auf die Suche nach einer Kapitalismuskritik begab, die auf westliche
Verhältnisse zugeschnitten war und sich von den versteinerten orthodox-marxistischen Theorien unterschied, feierte die
Dialektik der Aufklärung
eine publizistische Auferstehung. Die Kritik an der Zweckrationalität gesellschaftlicher Zusammenhänge und vor allem die Analyse
der Kulturindustrie trafen jetzt bei kritischen Marxisten einen Nerv. Der Offenbarungseid des Fortschritts wurde nun ironischerweise
zum Antrieb eines neuen, progressiven Denkens. Neben Herbert Marcuses
Der eindimensionale Mensch
entwickelte sich die
Dialektik der Aufklärung
zum philosophischen Kultbuch der 68er. Sie ist bis heute das Hauptwerk der Frankfurter Schule und eines der wichtigsten Werke
des westlichen Neomarxismus geblieben.
Horkheimer und Adorno waren inzwischen nach Frankfurt zurückgekehrt und hatten das Institut für Sozialforschung neu begründet.
Sie galten nun als die unbestrittenen Väter der Kritischen Theorie. Adornos
Philosophie der neuen Musik
(1949), von ihm selbst als »ausgeführter Exkurs« zur
Dialektik der Aufklärung
bezeichnet, etablierte darüber hinaus den Ruf ihres Verfassers als eines der wichtigsten Musikphilosophen seiner Zeit. Mit
Jürgen Habermas, einem zeitweiligen Assistenten Adornos, brachte die Frankfurter Schule den einflussreichsten deutschen Philosophen
der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hervor, der das Projekt einer kritischen Gesellschaftstheorie fortsetzte.
Die
Dialektik der Aufklärung
weist aber weit über den Rahmen des Marxismus hinaus und hat auch im 21. Jahrhundert nichts an Aktualität verloren. Die bei Horkheimer und Adorno geübte Kritik an der destruktiven Rolle der Vernunft
wurde von Vertretern der Postmoderne wie Michel Foucault und Jacques Derrida, aber auch von einem ehemaligen Rationalisten
wie Paul Feyerabend aufgenommen. Auch Anhänger der ökologischen Bewegungen und Globalisierungsgegner weisen darauf hin, welchen
Preis wir dafür bezahlthaben, dass wir so viel wissen, so viel konstruieren können und so vieles beherrschen.
Wenn es eine der Aufgaben der Philosophie ist, die menschliche Lebenswelt und ihre Werte zu durchleuchten, so hat die
Dialektik der Aufklärung
ein Röntgenbild geliefert, auf dem die dunklen Schatten einer langen Menschheitsgeschichte erkennbar sind.
Ausgabe:
Max Horkheimer/Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Frankfurt/Main: Fischer Taschenbuch Verlag 1988.
Anleitung zum Lesen der Welt
Hans-Georg Gadamer: Wahrheit und Methode (1960)
Für die Menschen des Mittelalters trug die Welt die Handschrift Gottes. Die Gelehrten sprachen, in Anlehnung an die Heilige
Schrift, vom »Buch der Natur«. In ihm lesen zu können bedeutete, die göttliche Schöpfung und damit Gott selbst verstehen zu
lernen. Die Naturforscher der Neuzeit glaubten, dieses Buch entziffert zu haben. Galileo Galilei, einer ihrer prominentesten
Vertreter, behauptete, das Buch der Natur sei in der Sprache der Mathematik geschrieben. Der Erfolg schien ihm recht zu geben.
Das neue mathematisch-naturwissenschaftliche Weltbild verschaffte dem Menschen eine naturbeherrschende Rolle und schien die
Welt in eindrucksvoller Weise entziffert zu haben.
Doch der Anspruch der empirischen Wissenschaften, die wahre und endgültige Lesart der Welt zu liefern, wurde auch immer wieder
bezweifelt. Besonders Theologen und Philologen wiesen darauf hin, dass in der sprachlichen Überlieferung und in den Texten
der Kultur eine Wahrheit zu finden sei, die dem technisch-naturwissenschaftlichen Zugriff verborgen bleibe. Sie sahen sich
in der Tradition des antiken Gottes Hermes, des Sendboten und Dolmetschers seines Vaters Zeus. Hermes ist derjenige, der den
Menschen den Willen der Götter erklärt. Er ist, so könnte man sagen, der Gott der Interpretation. Als solcher gilt er auch
als Stammvater der Hermeneutik, derjenigen Disziplin, die sich traditionell mit dem Verstehen, dem Auslegen und der Anwendung
von Texten beschäftigt.
Hans-Georg Gadamer ist der Philosoph des 20. Jahrhunderts, der der Hermeneutik neue philosophische Weihen gab. Auch er glaubte daran, dass es eine Art gibt, die Welt zu
erfassen, die tiefer reicht alsdas naturwissenschaftliche Erklären. Mit seinem Hauptwerk
Wahrheit und
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