Das neue Philosophenportal
westlichen Gesellschaften als zunehmende »Rationalisierung« beschrieben hatte, als einen Prozess der »Entzauberung der Welt«, bei der bildliche oder mythische Formen der Welterklärung
durch abstraktere Erklärungsmuster abgelöst werden.
Horkheimer hatte zudem früh die Philosophie Arthur Schopenhauers kennen gelernt und war von dessen Pessimismus und dessen
Skepsis gegenüber der Rolle der Vernunft beeinflusst worden. In einem parallel zur
Dialektik der Aufklärung
entstandenen, 1947 unter dem englischen Titel
Eclipse of Reason
erschienenen Werk,
Zur Kritik der instrumentellen Vernunft,
nimmt diese Skepsis bereits eine radikale Form an. »Im Augenblick ihrer Vollendung«, so schreibt Horkheimer dort, »ist Vernunft
irrational und dumm geworden.« Diese Formulierung beinhaltet auch eine der wichtigsten Thesen der
Dialektik der Aufklärung
, nämlich die, dass der Gebrauch dieser »dummen« Vernunft die Menschen in einen »Verblendungszusammenhang« verstrickt hat.
Die scheinbar aufgeklärte Menschheit ist in Wahrheit unaufgeklärt: Sie ist sich über ihre wahre gesellschaftliche Rolle nicht
im Klaren.
Dem soll die
Dialektik der Aufklärung
als »Ideologiekritik« entgegentreten, d. h. als Versuch, Deutungen der Vernunft, die sich auch in philosophischen oder wissenschaftlichen Theorien niederschlagen,
auf ihre wahre Funktion hin zu »enttarnen«. Es gibt eine Oberflächenbedeutung von Theorien, die sich aus ihren eigenen Formulierungen
und Ansprüchen ergibt. Dem steht jedoch häufig ihre wahre »ideologische« Funktion entgegen, die sich aus ihrer objektiven
gesellschaftlichen Rolle, aus ihrer Bedeutung für die Emanzipation des Menschen herleitet. So wird auch die scheinbar objektive
Wissenschaft zur »Ideologie«, zu einem theoretischen Herrschaftsinstrument. Die wichtigste These des Buches, dass nämlich
die sogenannte »aufklärerische Vernunft« in Wahrheit Entfremdung und Unterdrückung des Menschen befördert hat, ist deshalb
eine ideologiekritische These. Die aufklärerische Vernunft ist für Horkheimer und Adorno in Wahrheit »instrumentelle Vernunft«,
sie ist ein Werkzeug der Herrschaftssicherung.
Auch der Umgang mit der Sprache steht bei Horkheimer und Adorno unter ideologiekritischer Beobachtung. Wenn die
Dialektik
der Aufklärung
den Leser vor einige sprachliche Probleme stellt, so ist dies nicht unbeabsichtigt. Denn Adorno und Horkheimer misstrauen
einer glatten, klaren Sprache, die bei ihnen im Verdacht steht, »eingeschliffen« und »abgegriffen« zu sein und damit im Dienst
der instrumentellen Vernunft zu stehen. Sie wird dadurch zu einem ideologischen Mittel der Verdunkelung. »Die falsche Klarheit«,
so schreiben sie in ihrem Vorwort, »ist nur ein anderer Ausdruck für den Mythos.« Die schwierige, z. T. metaphorische Sprache
signalisiert deshalb ein Stück Widerstand gegen die »Instrumentalisierung« der Sprache in Händen der Macht. Aus den gleichen
Gründen genießt auch die Kunst, vor allem die schwierige avantgardistische Kunst, bei beiden eine so hohe Wertschätzung. Auch
sie enthält, indem sie sich gegen einfache Deutungen und Vereinnahmungen sperrt, ein Widerstandspotenzial.
Der erste Essay des Buches, »Begriff der Aufklärung«, vollzieht die für das Buch charakteristische Umdeutung und Erweiterung
des Begriffs »Aufklärung«. Die Aufklärung als Epoche und Programm meint normalerweise eine in Westeuropa im späten 17. und
18. Jahrhundert entstandene philosophische Bewegung, die die Emanzipation und Mündigkeit des Menschen, die Abkehr von der Dunkelheit
des Aberglaubens und die Hinwendung zum Licht der Vernunft einfordert. Sie richtete sich sowohl gegen die weltliche Herrschaft
des Absolutismus als auch gegen die geistige Herrschaft der Kirche. Philosophen wie Voltaire, Lessing oder Kant sahen in der
Vernunft noch ganz unbefangen ein Medium der Befreiung.
Für Adorno und Horkheimer dagegen ist die Aufklärung des 18. Jahrhunderts lediglich Teil einer jahrhundertealten Entwicklung, in der sich der Mensch von der Naturabhängigkeit, von Magie,
Zauber und unentrinnbarem Schicksal befreien wollte – und dabei das Kind mit dem Bade ausgeschüttet hat. Er hat sich zwar
von der Herrschaft der Natur gelöst, dabei aber die Natur und schließlich sich selbst zu einer verfügbaren Sache gemacht.
Auch lässt sich der Unterschied zwischen rationaler Aufklärung und irrationalem Mythos nicht aufrechterhalten. Schon die
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