Das neue Philosophenportal
Paris zu verbringen, wo er geistige Anregungen fand und wichtige soziale
Kontakte pflegte. Er war ein für die Zeit typischer Homme de lettres, ein vielseitig gebildeter und interessierter Mensch,
der aber jedes Expertentum ablehnte. So wurde er auch als Autor ein »Allrounder«, gleichermaßen belesen in Literatur, Naturwissenschaften,
Geschichte, Politik und Philosophie.
Die Schrift, mit der er zum ersten Mal ins nationale Bewusstsein trat, vereinigte diese vielseitigen Interessen auf eine amüsante
und höchst erfolgreiche Art:
Die Perserbriefe
von 1721 haben heute den Ruf, der erste europäische Briefroman von Rang zu sein. Sie reflektieren die Reiseerfahrungen während
der frühen Aufklärung und damit die kulturelle Öffnung gegenüber dem Orient. Sie stehen aber auch in der Tradition der von
Montaigne begründeten und von La Rochefoucauld und La Bruyère zu literarischer Blüte geführten französischen Moralistik. Wie
La Bruyères
Charaktere
von 1688 sind sie ein Versuch, aus der Beobachtung sozialer Verhaltensweisen Urteile über die Natur des Menschen und Regeln
einer vernünftigen Lebensführung abzuleiten.
Auch Montesquieu porträtiert in den
Perserbriefen
soziale Charaktere wie »Schöngeister« oder »Glücksritter« und gewinnt daraus wie seine moralistischen Vorgänger ein skeptisches
und pessimistisches Menschenbild. Anders als bei La Bruyère jedoch nehmen politische und gesellschaftliche Verhältnisse einen
großen Raum ein. Auch greift Montesquieu auf die in der Aufklärung häufig benutzte »orientalische Perspektive« zurück: Westliche
Verhältnisse werden mit östlichen Augen gesehen. In den
Perserbriefen
sind es zwei Reisendeaus Isfahan, die nach Frankreich kommen und die dortige Gesellschaft in Briefen kommentieren.
Mit diesem Kunstgriff kritisierte Montesquieu den französischen Absolutismus auf indirekte Art. Für die beiden Perser trägt
der französische König die vertrauten Züge der heimischen Despoten, während die Religion der christlichen »Derwische« als
wortverdrehende Heuchelei dargestellt wird. In den
Perserbriefen
wird auch schon die positive Haltung des Autors zu England deutlich, das 1689 die konstitutionelle Monarchie eingeführt hatte.
So berichtet im 104. Brief der Perser Usbek, dass nach Meinung der Engländer jede Art von despotischer Herrschaft dem Volk das Recht gebe, sich
von dieser Herrschaft loszusagen und seine »naturgegebene Freiheit« wieder in Besitz zu nehmen, und dass jede unbegrenzte
Macht ungesetzlich sei, weil sie keinen »legitimen Ursprung« habe. Mit den
Perserbriefen
hatte Montesquieu den aufklärerischen Grundton seiner politischen Philosophie angestimmt.
Nach dem Erscheinen seines Erstlings wurde Montesquieu zu einer bekannten Figur in den Pariser Salons, den traditionellen
Karriereschmieden. Hier erwarb er die entscheidenden Kontakte, die ihm schließlich 1728 zur Aufnahme in die renommierte Académie
Française verhalfen. Nun war er auch auf nationaler Ebene ein gemachter Mann.
Montesquieu hat später immer wieder betont, er habe zwanzig Jahre lang am
Geist der Gesetze
gearbeitet. Ob er tatsächlich im Jahr 1728 damit begonnen hat, ist nachträglich schwer festzustellen. Sicher ist jedenfalls,
dass er in jenem Jahr eine dreijährige Europareise antrat, die ihm umfangreiches Anschauungsmaterial für sein Buch lieferte.
Sie führte ihn zunächst nach Deutschland, Österreich, Ungarn, in die Schweiz und nach Italien.
Die wichtigste Etappe der Reise begann jedoch, als er zu Beginn des Jahres 1729 in London eintraf. In England blieb er zwei
Jahre. Er erwarb dort eine intime Kenntnis der Gesellschaft und des politischen Systems. Als bekanntem Literaten standen ihm
die Türen der höheren Gesellschaft offen. Hier konnte er die in John Lockes zweiter
Abhandlung über die Regierung
entwickelte Theorie der Trennungvon ausübender und gesetzgebender Gewalt unmittelbar vor Ort studieren. Montesquieu erlebte, dass es ausgerechnet die damals
oppositionellen Tories, die englischen Konservativen, waren, die für eine öffentliche Kontrolle staatlicher Institutionen
stritten.
Als er 1731 nach Frankreich zurückkehrte, brachte er nicht nur eine Unmenge Notizen, sondern auch die Erfahrung einer gelebten
politischen Aufklärung mit nach Kontinentaleuropa. Er war nicht der Einzige. Kurze Zeit später, 1734, machte auch Voltaire
mit seinen
Englischen Briefen
die französische Öffentlichkeit mit den
Weitere Kostenlose Bücher