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Landes
prägt. Er umfasst sehr viel mehr als Rousseaus »volonté générale«, der »Gemeinwille«, der lediglich die politische Souveränität
und Einheit eines Landes repräsentiert.
Montesquieu verbindet also seine aufklärerische Grundeinstellung mit der Wertschätzung von Traditionen und natürlichen Eigenheiten
eines Landes. Jedes Land soll sich gemäß dem ihm eigenen »ésprit général« politisch organisieren. Doch soll es dies in einer
Weise tun, die den Bürgern Freiheit und Identifizierung mit dem Gemeinwesen ermöglicht. Deshalb sieht Montesquieu auch nicht
alle Regierungsformen als gleichwertig an.
Am ehesten entspricht die Republik seinem Ideal, während er in der Despotie die schlechteste Regierungsform sieht. Da Montesquieu
sich die Republik aber, nach dem Muster der Antike, als kleinen Stadtstaat vorstellt, sieht er wenig Chanchen, sie in der
Staatenwelt des 18. Jahrhunderts zu verwirklichen. Republiken neigen seiner Meinung nach in Flächenstaaten dazu, ihre Überschaubarkeit und den
unmittelbaren Bezug zu den Bürgern zu verlieren und sich zu Monarchien zu entwickeln. In den Monarchien wiederum sieht er
eine Tendenz zum Despotismus, vor allem dann, wenn die Macht zentralisiert und durch Eroberungen der natürliche Gebietsumfang
überschritten wird. Genau diese Entwicklung stand ihm am Beispiel des französischen Absolutismus vor Augen.
Es war deshalb die Monarchie, die politische Regelform seiner Zeit, der er sein Hauptaugenmerk schenkte. Montesquieu ging
es darum darzulegen, wie der Verfall der Monarchien zu Despotien verhindert werden kann. Dabei hatte er wie sein antiker Vorgänger
Aristoteleseine Vorliebe für den Mittelweg, für politische Organisationsformen, in denen sich verschiedene gesellschaftliche Elemente
und Einflüsse mischen und weder eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe noch eine bestimmte Institution eine absolute Dominanz
ausübt. »Der Geist der Mäßigung muss den Gesetzgeber beherrschen«, so fasst Montesquieu selbst sein eigenes Verfassungsprogramm
zusammen.
Seine Studien der römischen und fränkischen Geschichte, vor allem aber die englische Verfassung boten ihm Anschauungsmaterial,
wie die absolute Monarchie zugunsten einer »gemischten Verfassung« verändert werden kann. Im 6. Kapitel des 11. Buches, betitelt »Von der Verfassung Englands«, formuliert Montesquieu das berühmte Prinzip der Gewaltenteilung: »Wenn in
derselben Person oder der gleichen obrigkeitlichen Körperschaft die gesetzgebende Gewalt mit der vollziehenden vereinigt ist,
gibt es keine Freiheit ... Es gibt ferner keine Freiheit, wenn die richterliche Gewalt nicht von der gesetzgebenden und vollziehenden getrennt ist ... Alles wäre verloren, wenn derselbe Mensch oder die gleiche Körperschaft der Großen, des Adels oder des Volkes diese drei
Gewalten ausüben würden: die Macht, Gesetze zu geben, die öffentlichen Beschlüsse zu vollstrecken und die Verbrechen oder
die Streitsachen der Einzelnen zu richten.«
Montesquieus vorgeschlagene Trennung zwischen Regierung (Exekutive), Parlament (Legislative) und Gerichten (Judikative) ging
sowohl über die von Locke vorgeschlagene Machtteilung zwischen König und Parlament als auch über die in England praktizierte
Verfassungswirklichkeit hinaus. Es handelte sich, wie die Leser schnell erkannten, um eine bahnbrechende Theorie, die weit
in die Zukunft wies. Dass z. B. die Justiz völlig unabhängig von politischen Einflussnahmen entscheiden muss, ist eine weltweit erhobene Forderung, die
allerdings bis heute in nur wenigen Ländern eingelöst ist.
In der heutigen Diskussion zwischen dem »Universalismus«, also der These, dass es Grundregeln des Zusammenlebens geben muss,
die für alle Menschen in allen Kulturen gelten, und dem »Relativismus«, der Auffassung, dass die Regeln des Zusammenlebens
immervon den besonderen Bedingungen abhängen, unter denen ein Volk lebt, nimmt Montesquieu eine vermittelnde Position ein. Es gibt
für ihn Grundsätze, die für alle gelten. Ihre konkrete Ausgestaltung aber bleibt Sache der besonderen Umstände.
Freiheit und Kontrolle der politischen Macht durch Institutionen, die sich gegenseitig auf die Finger sehen, sind die Grundsätze,
die nach Montesquieu für alle politischen Gemeinwesen gelten müssen. Unser heutiges Verständnis von Freiheit und Gewaltenteilung
ist allerdings erheblich weiter gefasst als das Montesquieus. Dieser strebte
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