Das neue Philosophenportal
passiv bleibt. Doch sie entzweit sich wieder – wie in der Philosophie der Skepsis – im vergeblichen Versuch, die Welt zu deuten,
und versöhnt sich schließlich auf einer neuen Stufe, auf der die Zerrissenheit des Bewusstseins anerkannt wird, indem man
die Begrenztheit und Endlichkeit des Bewusstseins von der Sphäre der Unendlichkeit trennt. Hegel nennt diese Stufe das »unglückliche
Bewusstsein«. Was wie ein Begriff aus der Existenzphilosophie klingt, ist in Wahrheit eine Anspielung auf das Christentum,
das die antike Philosophie ablöst und in dem sich Diesseits und Jenseits »unversöhnt« gegenüberstehen.
Den Versuch einer solchen Versöhnung macht die Vernunft – womit Hegel nicht das Absolute als Weltvernunft, sondern den Rationalitätsanspruch
der Neuzeit meint, wie er sich – z. B. als »beobachtende Vernunft« – in den empirischen Naturwissenschaften äußert.
Dass die Vernunft durch die Stufe des »Geistes« abgelöst wird, löst Fragen aus: Reden wir nicht schon die ganze Zeit über
die »Phänomenologie des Geistes«? Wozu noch ein eigenes Kapitel mit dem Titel »Geist«? Doch Hegel hat sich dabei etwas gedacht.
Der Geist hat sich nämlich auf dieser Stufe erst als das verstanden, was er nach Hegel in Wahrheit ist: als allumfassendes
Vernunftgesetz der Wirklichkeit. Dem Geist wird hier erst klar, wer er eigentlich ist, und deshalb darf er sich hier erst
»Geist« nennen.
Spätestens an dieser Stelle verlagert sich der Schwerpunkt der
Phänomenologie
auf Themen, die wir heute der praktischen Philosophie zurechnen, also die Themen Sittlichkeit, Moral, Religion, Politik, Staat
und Recht. Von hier ab diskutiert Hegel immer wieder, nach dialektischem Muster, bestimmte Etappen der Geistesgeschichte –
wie z. B. die Aufklärung oder die Moralphilosophie Kants – und demonstriert, dass in ihnen Teilwahrheiten zum Vorschein kommen, aber
nie die volle Wahrheit ausgesprochen wird. So erscheint ihm Kants Moralphilosophie als zu »formalistisch«, weil sie Pflicht
und Neigung, Mensch und Natur in einen »unaufgehobenen« Gegensatz bringt.
In dem »Religion« betitelten vorletzten Kapitel tritt der Geist zwar schon in voller Gestalt, aber noch in bildlich-mythologischer
Verkleidung auf die Bühne. Im absoluten Wissen schließlich wird er dieser mythologischen Form entkleidet. Wie sieht der im
absoluten Wissen begriffene Geist also in Wahrheit aus? Wenn der Leser erwartet, dass Hegel nun die Tür aufsperrt und das
Absolute in voller philosophischer Pracht erscheint, so irrt er. Der Weg selbst ist das Ziel, belehrt uns Hegel. Im durchschrittenen
Weg selbst hat sich uns das Absolute gezeigt, indem die Stationen dieses Weges »auf den Begriff gebracht« wurden. Deshalb
wendet Hegel am Ende des Buches seinen und des Lesers Blick zurück auf »die begriffene Geschichte« als »die Erinnerung und
Schädelstätte des absoluten Geistes«. Nichtzufällig bedient er sich hier wieder einer religiösen Symbolik: Wie Christus auf Golgatha das Leiden der Menschen auf sich
nahm und diese dadurch erlöste, so hat die
Phänomenologie
die Geistesgeschichte dialektisch nachvollzogen und damit begriffen.
Hegels erstes großes Hauptwerk erschien im Frühjahr 1807 in Bamberg, als er dort bereits eine Redakteursstelle bei der ›Bamberger
Zeitung‹ angetreten hatte. Mit ihr öffnete er die Tür zu seiner Karriere und ebnete den Weg für seine späteren großen Werke.
Es war die
Phänomenologie
, die von der Nachwelt als Hegels Geniestreich angesehen wurde. Vor allem Hegels Art, Dinge historisch, d. h. von ihrer Entwicklung her, zu erklären, übte großen Einfluss aus und setzte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch bei Gegnern des Idealismus wie Auguste Comte in Frankreich oder Herbert Spencer in England durch.
Dass Hegels schwierige und ungewöhnliche Form der Analyse auch heftige Kritik hervorrief, verwundert nicht. »Immer wenn ich
die
Phänomenologie des Geistes
aufschlug, dachte ich, ich öffnete das Fenster eines Irrenhauses«, lästerte sein etwas jüngerer Philosophenkollege Arthur
Schopenhauer, der bei jeder Gelegenheit den »absoluten Gallimathias der Hegel’schen Dialektik« anprangerte, die auch Karl
R. Popper, einhundert Jahre später, als Perversion der Logik empfand.
Doch selbst auf manche seiner Kritiker färbte Hegels Stil ab, so auf den dänischen Theologen Sören Kierkegaard, der mit seinen
Stadien auf des Lebens
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