Das neue Philosophenportal
ist Hegels Version vom Wirken Gottes, der sich den Menschen offenbart, indem er
selbst Mensch geworden ist.
Auch die
Phänomenologie
, die diesen Prozess schildert, sieht sich als Teil dieses Prozesses. Wissenschaftliches Erkennen bedeutet für Hegel nicht,
eine Sache von außen wie mit einer Zange zu erfassen, sondern »sich dem Leben des Gegenstandes zu übergeben«, d. h., die Bewegung der Wirklichkeit nachzuvollziehen. Auch hier greift Hegel auf religiöse Traditionen zurück, auf die Mystik
der jüdischen Kabbala oder auf den deutschen Mystiker des frühen 17. Jahrhunderts,Jakob Böhme: Innen und außen, Mikrokosmos und Makrokosmos entsprechen sich und sind aufeinander bezogen.
Hegel beginnt den Erfahrungsweg des Geistes auf einer erkenntnistheoretischen Ebene, beim »Bewusstsein«. Es geht um die klassische
Erkenntnisbeziehung zwischen Subjekt und Objekt, um die Art, wie sich der Mensch die Welt der Gegenstände aneignet. Dass das
»Bewusstsein« am Anfang steht, zeigt, dass Hegel sich auf die von René Descartes begründete Tradition der neuzeitlichen Erkenntnistheorie
bezieht, nach der sichere Erkenntnis durch eine Selbsterforschung der Vernunft des einzelnen Subjekts zu erreichen ist.
Die naivste, noch am wenigsten entwickelte Form des Geistes sieht Hegel in dem, was einem normalerweise als die sicherste
und selbstverständlichste Form der Erkenntnis erscheint, die »sinnliche Gewissheit«. Wir sehen einen Baum, sagen: »Dies ist
ein Baum«, und glauben, unsere Erkenntnis sei klar und eindeutig. Doch Hegel deckt in dieser scheinbar einfachen Gegenstandserkenntnis
Bezüge und Unterscheidungen auf, die auf den ersten Blick verborgen waren. So wird in dieser Erkenntnis nicht der Baum »an
sich«, unabhängig von mir, angesprochen, sondern mein Bewusstsein stellt eine Verbindung zwischen erkennendem Subjekt und
erkanntem Objekt her. Die scheinbare Einheit ist in eine Zweipoligkeit zerfallen. Auch das »Dies« ist nicht eindeutig – drehe
ich mich um, verweist es nämlich auf etwas anderes. »Dies« ist ein sprachlicher Begriff, der, genau wie »Baum«, auf verschiedene
Gegenstände angewendet werden kann. Mit der Sprache bringen wir also einen Aspekt ins Spiel, der mehr meint als den einen
konkreten Gegenstand, der uns vor Augen steht.
Unsere einfache, scheinbar konkrete sinnliche Gewissheit entpuppt sich also als eine komplexe Erkenntnis, die uns zum Gebrauch
sprachlicher Begriffe, oder, wie Hegel sich ausdrückt, zu einem »Allgemeinen« führt. Diese Erkenntnis des Allgemeinen nennt
Hegel »Wahrnehmung«, womit wir uns schon auf der nächsten, höheren Stufe der Geistesentwicklung befinden. Auch sie erscheint
zunächst als eine »einfache« Erkenntnis. Doch wieder tun sich scheinbare Widersprüche und zunächst übersehene Bezüge auf.
Denn einerseits sehen wir den Begriff als eine Einheit, andererseits umfasst das Konzept»Baum« ganz verschiedene Merkmale der Größe, Farbe, Form usw. Auch hier zerfällt also bei näherem Hinsehen die Einheit in
Gegensätze. Eine höhere Einheit muss gefunden werden, die das Wesen des Allgemeinbegriffs, die Synthese von Einheit und Vielheit
umfasst. Dies geschieht auf der nächsten Stufe, in der Tätigkeit des Verstandes.
Mit dieser Art der Analyse befinden wir uns mitten in der »Phänomenologie des Geistes«, in einer Denkbewegung, die immer wieder
die gleiche Grundstruktur aufweist und die Hegel als »dialektische Bewegung« bezeichnet. Eine scheinbare Einheit, die auch
»Positivität«, »Unmittelbarkeit« oder »Ansichsein« genannt wird, zerfällt in Gegensätze. Dieser von Hegel häufig als »Negation«
bezeichnete Vorgang ist nichts anderes als das Aufzeigen von Unterschieden oder übersehenen Bezügen, die in einem Begriff
enthalten sind. Nun werden in einem dritten Schritt die Gegensätze in einem dreifachen Sinn wieder aufgehoben: Sie werden
eliminiert, gleichzeitig bewahrt und auf eine höhere Einheitsstufe gehoben. Sie werden zu integrierten Aspekten, zu »Momenten«
der neuen Einheit. Über das »Ansichsein« und das »Für-andere-Sein« gelangt man zum »Fürsichsein« bzw. »An-und-für-sich-Sein«.
Als vielseitig verwendbare Formel »These – Antithese – Synthese« findet sich dieses Erklärungsmuster bis heute in der Hausapotheke jedes Hegelianers wieder.
Die Dialektik ist das Entwicklungsgesetz des Geistes. Ist eine Stufe des Wissens erklommen, so stellt sich diese sofort als
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