Das neue Philosophenportal
Lebenssituation. Mit der Frau seines Hauswirts hatte er ein Kind
gezeugt, und er wusste, dass finanzielle Verpflichtungen auf ihn zukamen. Er suchte dringend eine feste Anstellung. Auch die
politischen Verhältnisse waren höchst unsicher. Es herrschte Krieg, und Napoleon stand vor den Toren.
Über den Philosophen Friedrich Immanuel Niethammer, einen Freund und Gönner, den er in Jena kennen gelernt hatte und der inzwischennach Bayern übergesiedelt war, fand Hegel in Bamberg schließlich einen Verleger für sein noch unveröffentlichtes Buch und
konnte einen Vorschuss vereinbaren.
Das Manuskript wird unter abenteuerlichen Umständen vollendet: Die Franzosen marschieren, nach der Schlacht von Jena und Auerstädt,
am 13. Oktober 1806 in Jena ein und beginnen auch Hegels Wohnung zu plündern. Hegel flüchtet sich mit einigen wenigen Unterlagen
in die Wohnung von Bekannten. Er hat das Gefühl, den Atem der Geschichte im Nacken zu spüren. Als er, aus dem Fenster schauend,
Napoleon im Sattel erblickt, nennt er ihn in einem Brief an Niethammer die »Weltseele zu Pferde«. In der Nacht zum 14. Oktober schreibt er die letzten Seiten seines Manuskripts, und der abschließende Teil geht am 20. Oktober nach Bamberg. Am 5. Februar 1807 wird Hegels unehelicher Sohn Ludwig geboren. Nicht nur die »Weltseele« veranlasst ihn, kurze Zeit später die
Stadt zu verlassen.
Die
Phänomenologie
ist, wie alle Werke Hegels, harte Kost und für einen Anfänger ohne Hilfestellung nur mit viel Mühe lesbar. Mit Hegels verschachtelten
Sätzen und seinen ungewöhnlichen Wortprägungen tun sich auch so manche Experten schwer.
Im Kern handelt es sich um eine Metaphysik, um eine Lehre vom Absoluten als dem letzten Grund der Wirklichkeit, in die allerdings
auch erkenntnistheoretische und kulturphilosophische Erörterungen eingebunden sind. Charakteristisch für Hegel ist die geschichtsphilosophische
Perspektive, unter der er alle Fragen betrachtet. Etwas begründen und erklären heißt für ihn, auf jenen »Grund« einer Sache
zu verweisen, aus der sie sich entwickelt hat. Hegel erklärt »genetisch«, also indem er die Entwicklung einer Sache und ihren
Platz in einem historischen Zusammenhang aufzeigt. Auch das Absolute, Hegels Weltvernunft, wird erklärt, indem ihre Entwicklung
von einem »unmittelbaren« zu einem komplexen Stadium dargelegt wird.
In der »Vorrede« des Buches steht einer der berühmtesten Sätze Hegels, der den Zusammenhang zwischen der Erkenntnis des Absoluten
und seiner Entwicklung zusammenfasst. Es komme darauf an, so Hegel, »das Wahre nicht als
Substanz
, sondern ebenso sehr als
Subjekt
aufzufassen und auszudrücken«. Während das »Wahre« – alsoder Geist als umfassende Weltvernunft – bei Spinoza noch als eine fertige, immer gleichbleibende und ewige »Substanz« bestimmt
wird, wird sie bei Hegel zu einem bewegenden, aktiven Prinzip, zu einem »Subjekt« im Sinne eines handelnden Akteurs. Als »lebendige
Substanz« entwickelt sie sich von einem unfertigen, noch nicht vollständig begriffenen Zustand zum absoluten Wissen.
Diese Entwicklung – und damit die Geistesgeschichte – wird zwar als eine Fortschrittslinie gesehen, zugleich aber auch als
eine Linie, die einen Kreis beschreibt. Der Weg des Weltgeistes ist, in Hegels Worten, »das Werden seiner selbst, der Kreis,
der sein Ende als seinen Zweck voraussetzt und zum Anfang hat«. Das Absolute war immer schon da, es war in seiner Entwicklung
schon angelegt, hatte sich aber noch nicht entfaltet. Erst im absoluten Wissen liegt diese Entfaltung vor uns: Der Geist,
das Absolute, hat sich nun selbst begriffen. Nicht von ungefähr hat man diese kreisförmige Weiterentwicklung immer wieder
mit der Figur einer Spirale verglichen.
Das absolute Wissen ist also nichts, was man handlich in einer Definition anbieten könnte. Was Hegel »Wahrheit« im Sinne des
»absoluten Wissens« nennt, ist der gesamte Prozess der Selbstentfaltung des Geistes. Der Weltgeist schwebt jedoch nicht losgelöst
über unseren Köpfen. Er ist vielmehr unser eigenes Erbe, das Substrat der Kulturgeschichte, der geistigen Anstrengung des
Menschen, sich selbst und die Welt zu verstehen. »Objektive« Entwicklung des Geistes in der Welt und das »subjektive« Verständnis,
das der Mensch von diesem Geist entwickelt, korrespondieren also miteinander. Weltvernunft und vernünftiges Begreifen der
Welt entfalten sich im gleichen Prozess. Es
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