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Sprache, die ihre Vorbilder in der Kunst und Religion hat. Besonders häufig sind dabei
Bilder aus dem Bereich der organischen Natur. Auch ist der begriffliche Gegensatz »organisch – mechanisch« bei Spengler allgegenwärtig.
In Anlehnung an Goethes »lebende Natur« betrachtet er Geschichtsprozesse als »organische« Prozesse, die sich einer mechanischen
Erklärung entziehen. Das »Geheimnis der Weltgeschichte« besteht für ihn genau darin, dass Geschichte eine »organische Einheit
von regelmäßiger Struktur« ist.
Auch die großen Kulturen sind für ihn lebende Organismen, die eine bestimmte »Physiognomie« und einen eigenen Lebenslauf haben,
die nachzuzeichnen Spengler als seine Aufgabe ansieht. Jede Kultur hat auch ihr eigenes »Weltgefühl«, das sich in der Formensprache
der Kunst sowie in den gesellschaftlichen und politischen Institutionen ausdrückt. Das Problem, wie verschiedene Kulturen
sich miteinander verständigen können, war Spengler dabei durchaus bewusst.
Den intuitiven Zugang zu einer Kultur nennt er »physiognomischen Takt«. Durch ihn ist die symbolische Deutung kultureller
Formen als »Gestalt« und damit als »Ausdruck« einer tieferen Wirklichkeitsschicht möglich, einer Schicht, die Spengler »das
Seelische« nennt und die von dem wissenschaftlichen Weltbild nicht erreicht wird. Jede Kultur ist für ihn »Leib« einer bestimmten
»Seele«. Inbegriff dieser Seele und damit des Weltgefühls einer Kultur ist das »Ursymbol«, das sich selbst nicht in einer
bestimmten Gestalt verwirklicht, sondern in der Gesamtheit der Ausdrucksformen einer Kultur spürbar ist.
Spengler unterscheidet Völker vor, innerhalb und nach einer Kultur. Die ersten sind die sogenannten »Urvölker«, die letzten
die »Fellachenvölker«, die ihre große Zeit, wie die heutigen Ägypter, schon hinter sich haben. Urvölker und Fellachenvölker
sind für Spengler keine Völker im strengen Sinn, sondern Bevölkerungen ohne erlebte Identität. Sie machen keine Geschichte
und prägen der Zeit keinen kulturellen Stempel auf. Erst die historischen Völker, die innerhalb einer Kultur leben, gestalten
und prägen durch ihre kreativen Leistungen die Geschichte.
Spengler geht von der Existenz von acht Hochkulturen in der bisherigen Geschichte aus, die sich zeitversetzt ausgebildet haben:
die babylonische und die ägyptische Kultur, die er beide von etwa 3000 v. Chr. an datiert; die chinesische, indische und antike Kultur, die sich um 1500 v. Chr. formieren, sowie die jüngeren Kulturen wie die arabische, »mexikanische« (d. h. indianisch-aztekische) Kultur und schließlich die westeuropäisch-amerikanische Kultur.
Die arabische Kultur entsteht nach Spengler zwischen Tigris undNil sowie zwischen Schwarzem Meer und Südarabien um etwa Christi Geburt. Zu ihr zählt er viele kulturelle Erscheinungen, die
man normalerweise der spätantiken bzw. der frühchristlichen Kultur zurechnet wie etwa die byzantinische Baukunst des Ostens
oder die hellenistisch-christliche Philosophie des Origines und des Augustinus. Die mexikanische Kultur beginnt für ihn etwa
zweihundert Jahre, die westliche Kultur etwa neunhundert Jahre nach der arabischen. Spengler nimmt also antike Kultur und
westliche Kultur nicht als Einheit, sondern als zwei völlig unterschiedliche Kulturen wahr. Die westliche Kultur beginnt für
ihn erst dort, wo wir heute das Hochmittelalter ansetzen. Ihr Entstehen fällt geistesgeschichtlich mit der Gotik und der mittelalterlichen
Scholastik zusammen.
Für Spengler haben die Hochkulturen nicht nur einen datierbaren Anfang, sondern auch ein datierbares Ende. Ihre durchschnittliche
Lebenszeit beträgt etwa tausend Jahre. Eine Ausnahme bildet die mexikanische Kultur, die in ihrem Fortgang durch die europäischen
Eroberer jäh unterbrochen und vernichtet wurde.
Keine Kultur kann nach Spengler eine zentrale Stellung beanspruchen, und keine kann Maßstäbe für andere Kulturen setzen.
Der Untergang des Abendlandes
verbindet ein polyzentrales Geschichtsbild mit einem Kulturrelativismus.
Das traditionelle westliche Schema Antike-Mittelalter-Neuzeit, das noch einer linearen Geschichtsauffassung verpflichtet ist,
hält Spengler für erklärungsuntauglich. Als lebende Organismen entwickeln sich die Hochkulturen vielmehr zyklisch, im Rhythmus
von Jahreszeiten – eine Auffassung, die man schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts bei dem italienischen Frühaufklärer
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