Das neue Philosophenportal
Abendlandes
schrieb, »über einige politische Erscheinungen der Gegenwart und die aus ihnen möglichen Schlüsse für die Zukunft etwas aus
einem weiteren Horizont zusammenzustellen«. Es ging ihm zunächst darum, das eigene Zeitalter in eine geschichtliche Perspektive
einzuordnen. Dass der »weitere Horizont« sich in den nächsten Jahren zu einer umfassenden Geschichts- und Kulturphilosophie
ausdehnen würde, wurde ihm erst im Laufe der Arbeit bewusst.
1912 entdeckte Spengler in einem Schaufenster ein Werk, das ihm die Titelidee für sein eigenes Buch eingab: die
Geschichte des Untergangs
der antiken Welt
von Otto Seeck, einem in Münster lehrenden Altphilologen, den er in seinem Werk allerdings nirgends erwähnt.
Spengler gehörte keiner der zeitgenössischen philosophischen Strömungen an, doch bündelten sich in seinem Werk mehrere Einflüsse.
Wie die Vertreter des Historismus des späten 19. Jahrhunderts war er ein Gegner der Geschichtsphilosophie Georg Wilhelm Friedrich Hegels, in der die Geschichte als gesetzmäßiger,
stetiger Fortschrittsprozess begriffen wurde. Einer der wichtigsten Historisten, der Historiker Leopold von Ranke, hielt Hegel
entgegen, dass jede Kultur gleich nah und gleich fern zu Gott stehe. Spengler, der sich häufig auf Ranke bezog, teilte diese
Ansicht. Alle großen Kulturen waren für ihn gleichwertig.
Auch Spenglers Nähe zur Lebensphilosophie ist oft bemerkt worden. Diese von Schopenhauer und Nietzsche beeinflusste und maßgeblich
von dem französischen Philosophen Henri Bergson begründete Richtung setzte der rationalen, begrifflichen Welterfassung eine
intuitive Form der Erkenntnis entgegen. Nur sie könne das »Leben«, also den irrationalen, schöpferischen Grund der Wirklichkeit,
erfassen. Die Lebensphilosophie übte auch in Deutschland große Wirkung aus, wo die Abneigung gegen die moderne, technisierte
Massengesellschaft unter den Intellektuellen besonders verbreitet war. Mit Ludwig Klages nahm die lebensphilosophische Kritik
am Rationalismus die Gestalt einer Zivilisationskritik an. Klages sprach bereits 1913 in seinem Aufsatz
Mensch und Erde
von dem »Untergang der Seele« als dem Ergebnis einer technisierten und mechanisierten Zivilisation. Der Verlust von »Seele«
und »Leben« im gegenwärtigen Zeitalter spielte auch in der Analyse Spenglers eine große Rolle. Und wie die Lebensphilosophen
nahm er für sich in Anspruch, sich in seiner Geschichtsdeutung auf eine nicht-rationale Anschauung zu stützen.
Als die für ihn einflussreichsten Denker hat Spengler selbst Goethe und Nietzsche genannt. Von Nietzsche, so Spengler, habe
er die Fragestellung, von Goethe die Methode übernommen. Nietzsche hatte – so wie Spengler – sein eigenes Zeitalter als eine
dekadente Umbruchs- und Endzeit begriffen und von einer »Umwertung aller Werte« gesprochen.
Goethe wiederum hatte in seinen naturphilosophischen Studien sein Konzept einer »lebendigen Natur« der Naturdeutung Newtons
entgegengesetzt, der die Natur als einen mathematisch erfassbaren, dem Gesetz von Druck und Stoß unterworfenen Prozess verstand.
Für Goethe hingegen war sie ein organischer Zusammenhang, in dem sich bestimmte Formen und Gestalten nach einem ihnen innewohnenden
Entwicklungsprinzip entfalteten. So glaubte Goethe die Gestalt einer Urpflanze entdeckt zu haben, aus der die Gestalten aller
Pflanzen ableitbar seien.
Goethes Morphologie, also seine Gestalttheorie der Natur, wurde zum Vorbild für Spenglers morphologische Deutung der Geschichte.
Die »Gestalten«, um die es ihm jedoch ging, waren die großen Kulturen.
So wurde Spengler im Fortgang seiner Arbeit bewusst, dass die Merkmale seines eigenen Zeitalters auch bei früheren Kulturen
in der Geschichte beobachtet werden konnten. Er war, wie er glaubte, allgemeinen historischen Gesetzmäßigkeiten beziehungsweise
dem »Geheimnis der Weltgeschichte« auf der Spur, wie er es selbst etwas pathetisch ausdrückte. Dies schien es möglich zu machen,
die Zukunft der eigenen Kultur vorauszusagen. So entstand das Projekt einer »Morphologie der Weltgeschichte«, wie es im Untertitel
seines Buches heißt.
In einem ersten Teil, den er »Gestalt und Wirklichkeit« überschrieb, erklärt Spengler seinen philosophischen Ansatz und untersucht
die Formensprache der großen Kulturen, in denen sich ihr jeweiliges »Weltgefühl« ausdrückt. Dieser erste Band lag nach drei
Jahren Arbeit 1914 als Manuskript fertig
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