Das neue Philosophenportal
Giambattista Vico findet. Vico unterschied in seiner
Neuen Wissenschaft
in jeder Kultur ein göttliches, heroisches und menschliches Zeitalter, in deren Abfolge sich jeweils »Aufstieg, Fortschritt,
Blüte, Verfall und Ende« spiegeln.
Spengler erläutert seine Theorie der organischen Entwicklung von Kulturen anhand dreier großer Schautafeln, in denen er die
Geistesepochen (Philosophie, Religion), die Kulturepochen (Kunst) und die politischen Epochen (Politik und Gesellschaft) zwischen
den einzelnen Hochkulturen vergleicht.
Auf der Ebene der Geistesepochen unterscheidet Spengler zwischen Frühling (erwachende Seele), Sommer (reifendes Bewusstsein),
Herbst (Höhepunkt geistiger Gestaltungskraft) und Winter (Erlöschen der geistigen Gestaltungskraft). Auf der Ebene der Kulturepochen
und politischen Epochen ist dem Beginn der eigentlichen Kultur noch eine »Vorzeit« vorgeschaltet, der die Kultur selbst mit
Frühzeit und Spätzeit folgt (zeitlich mit dem Frühling, Sommer und Herbst korrespondierend) sowie schließlich die »Zivilisation«,
die dem Winter auf der Ebene der Geistesepochen entspricht.
»Zivilisation« ist für Spengler also kein wertneutraler, sondern ein abwertender Begriff, der kulturelle Dekadenz bezeichnet.
Die Zivilisation ist für ihn das Schicksal einer Kultur in dem Sinne, dass jede Kultur zwangsläufig in einer Zivilisation
erstarrt. Über Spengler hat sich vor allem in Deutschland der Gegensatz zwischen »Kultur« und »Zivilisation« durchgesetzt,
der in anderen westeuropäischen Ländern unüblich ist. Deshalb wird im Deutschen häufig das als »Kultur« bezeichnet, was in
anderen Sprachen, wie dem Englischen oder Französischen, »Zivilisation« heißt.
Alle Hochkulturen haben also den gleichen »Bau«, d. h., sie prägen vergleichbare Stadien in der Entwicklung ihrer Formensprache aus. So gibt es z. B. in der Philosophie in allen Hochkulturen auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung die Zeit der »großen, abschließenden Systeme«,
die für Spengler in der antiken Kultur mit Platon und Aristoteles und in der westlichen Kultur – in der für Spengler typischen
deutschzentrierten Sicht – mit Goethe, Kant und dem Deutschen Idealismus eines Fichte, Schelling und Hegel vorliegen. In ihrer
Zivilisationsphase entwickelt die Philosophie in allen Kulturen stärker praktisch orientierte, materialistische und nützlichkeitsorientierte
Weltanschauungen, wie etwa die hellenistischen Philosophenschulen in der Antike oder die Philosophie des Utilitarismus und
Sozialismus im europäischen 19. Jahrhundert. Das abstrakte Denken wird durch eine akademische »Katheder-Philosophie« zurückgedrängt.
Die Art, wie eine Hochkultur die Phasen ihrer Entwicklung mit kulturellen Formen ausfüllt, ist allerdings sehr unterschiedlich
undhängt von ihrem Weltgefühl ab, das sich im Ursymbol kristallisiert. So bezeichnet Spengler das Weltgefühl der westlichen Kultur
als »faustisch« – nach der Figur des Faust, der in der deutschen Geistesgeschichte eine kulturelle Ikone ist und in Goethes
gleichnamigem Versepos seine berühmteste literarische Gestaltung gefunden hat. Faust steht für den nie zu befriedigenden Drang
nach umfassendem Wissen. Für Spengler ist er eine Figur, die das Streben nach Unendlichkeit symbolisiert. Entsprechend ist
das Ursymbol des faustischen Weltgefühls der grenzenlose Raum, wie er sich bereits in den gotischen Kathedralen oder auch
in der westlichen Literatur ausdrückt, wo die Verlorenheit des Einzelnen gegenüber einem fremden, unendlichen All immer wieder
Thema ist. Dieser Hang zum Grenzenlosen ist auch der Grund dafür, dass die westliche Kultur als einzige die Tendenz zu einer
weltumspannenden Kultur hat. Überall, auf ökonomischem, politischem und kulturellem Gebiet, strebt sie danach, neue Räume
zu erobern. Spengler ist damit avant la lettre zu einem Propheten der Globalisierung geworden.
Die westliche Kultur unterscheidet sich damit grundsätzlich von der antiken Kultur mit ihrem »apollinischen Weltgefühl«, dessen
Ursymbol der »sinnliche Einzelkörper« ist. Überall in der antiken Kultur findet Spengler den Hang zur Begrenzung, zum Festhalten
am Gegenwärtigen und Sinnlichen. Den Begriff »apollinisch« entlieh er Nietzsches Frühwerk
Die Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik
, in dem die beiden Kunstprinzipien des Apollinischen und des Dionysischen dazu dienen, das doppelte Gesicht der griechischen
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