Das Nibelungenlied
Wunder · wie es noch oft geschieht,
Wenn man den Mordbefleckten · bei dem Toten sieht,
So bluten ihm die Wunden · wie es auch hier geschah;
Daher man nun der Untat · sich zu Hagen versah.
Die Wunden flossen wieder · so stark als je vorher.
Die erst schon heftig klagten · die weinten nun noch mehr.
Da sprach der König Gunther · »Nun hört die Wahrheit an:
Ihn erschlugen Schächer · Hagen hat es nicht getan.«
Sie sprach: »Diese Schächer · sind mir wohl bekannt:
Nun lass' es Gott noch rächen · von seiner Freunde Hand!
Gunther und Hagen · ja ihr habt es getan.«
Da wollten wieder streiten · die Siegfrieden untertan.
Da sprach aber Kriemhild · »Ertragt mit mir die Not.«
Da kamen auch die beiden · wo sie ihn fanden tot,
Gernot ihr Bruder · und Geiselher das Kind.
Sie beklagten ihn in Treuen · mit dem ganzen Hofgesind'.
Sie weinten von Herzen · um Kriemhildens Mann.
Man wollte Messe singen · zum Münster heran
Sah man allenthalben · Frauen und Männer ziehn.
Die ihn doch leicht verschmerzten · weinten alle jetzt um ihn.
Geiselher und Gernot · sprachen: »Schwester mein,
Nun tröste dich des Todes · es muß wohl also sein.
Wir wollen dir's ersetzen · so lange wir leben.«
Da wüßt' ihr auf Erden · niemand doch Trost zu geben.
Sein Sarg war geschmiedet · wohl um den hohen Tag;
Man hob ihn von der Bahre · darauf der Tote lag.
Da wollt' ihn noch die Königin · nicht lassen begraben:
Es mußten alle Leute · große Mühsal erst haben.
In kostbare Zeuge · man den Toten wand.
Gewiß daß man da niemand · ohne Weinen fand.
Aus ganzem Herzen klagte · Ute das edle Weib
Und all ihr Ingesinde · um Siegfrieds herrlichen Leib.
Als die Leute hörten · daß man im Münster sang
Und ihn besargt hatte · da hob sich großer Drang:
Um seiner Seele willen · was man da Opfer trug!
Er hatte bei den Feinden · doch guter Freunde genug.
Kriemhild die arme · zu den Kämmerlingen sprach:
»Ihr sollt mir zuliebe · leiden Ungemach:
Die ihm Gutes gönnen · und mir blieben hold,
Um Siegfriedens Seele · verteilt an diese sein Gold.«
Da war kein Kind so kleine · mocht' es Verstand nur haben,
Das nicht zum Opfer ginge · Eh' er ward begraben,
Mehr denn hundert Messen · man des Tages sang.
Von Siegfriedens Freunden · hob sich da mächtiger Drang.
Als die gesungen waren · verlief die Menge sich.
Da sprach wieder Kriemhild · »Nicht einsam sollt ihr mich
Heunt bewachen lassen · den auserwählten Degen:
Es ist an seinem Leibe · all meine Freude gelegen.
»Drei Tage und drei Nächte · will ich verwachen dran,
Bis ich mich ersättige · an meinem lieben Mann.
Vielleicht daß Gott gebietet · daß mich auch nimmt der Tod:
So wäre wohl beendet · der armen Kriemhilde Not.«
Zur Herberge gingen · die Leute von der Stadt.
Die Pfaffen und die Mönche · sie zu verweilen bat
Und all sein Ingesinde · das sein billig pflag.
Sie hatten üble Nächte · und gar mühsel'gen Tag.
Ohne Trank und Speise · verblieb da mancher Mann.
Wer's nicht gern entbehrte · dem ward kund getan,
Man gab ihm gern die Fülle · das schuf Herr Siegmund.
Da ward den Nibelungen · viel Not und Beschwerde kund.
In diesen dreien Tagen · so hörten wir sagen
Mußte mit Kriemhilden · viel Mühsal ertragen,
Wer da singen konnte · Was man auch Opfer trug!
Die eben arm gewesen · die wurden nun reich genug.
Was man fand der Armen · die es nicht mochten haben,
Die ließ sie mit dem Golde · bringen Opfergaben
Aus seiner eignen Kammer · er durfte nicht mehr leben,
Da ward um seine Seele · manches Tausend Mark gegeben.
Güter und Gefälle · verteilte sie im Land,
So viel man der Klöster · und guter Leute fand.
Silber und Gewande · gab den Armen man genug.
Sie ließ es wohl erkennen · wie holde Liebe sie ihm trug.
An dem dritten Morgen · zur rechten Messezeit
Sah man bei dem Münster · den ganzen Kirchhof weit
Von der Landleute · Weinen also voll:
Sie dienten ihm im Tode · wie man lieben Freunden soll.
In diesen vier Tagen · so hört' ich immerdar
Wohl an dreißigtausend Mark · oder mehr noch gar
Ward um seine Seele · den Armen hingegeben.
Indes war gar zerronnen · seine große Schöne wie sein Leben.
Als vom Gottesdienste · verhallt war der Gesang,
Mit ungefügem Leide · des Volkes Menge rang.
Man ließ ihn aus dem Münster · zu dem Grabe tragen.
Da hörte man auch anders · nichts als Weinen und Klagen.
Das Volk mit lautem Wehruf · schloß im Zug sich an:
Froh war da niemand · weder Weib noch Mann.
Eh'
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