Das nicht ganz perfekte Leben der Mrs. Lawrence
denn, du willst es.« Er holte seine Brieftasche hervor und gab ihr eine Visitenkarte. » Da ist meine Handynummer. Ruf mich an, wenn du was brauchst.«
Aishe starrte so lange auf die Visitenkarte, bis sie die Haustür zufallen hörte. Patrick war gegangen.
Viel später an diesem Abend nahm Aishe das Telefon mit in ihr Zimmer. Zu ihrer Erleichterung hatte sie es auf der Station gefunden und nicht, wie sonst üblich, auf dem Boden in Gullivers Zimmer. Sie hatte keine Lust, ihn zu sehen. Jedenfalls nicht an diesem Abend.
Sie suchte den Zettel, auf dem Mo ihr die Telefonnummer ihrer Freundin Darrell notiert hatte– die jetzt auch Anselos Nummer war. Aishe hatte betont beiläufig danach gefragt, vermutete aber, dass Mo sie durchschaut hatte. Kann man ihr nicht verdenken, dachte Aishe. Es gibt nicht viele Menschen, die die Telefonnummer ihres eigenen Bruders erfragen müssen.
Aishe hatte keine Ahnung, wie viel Uhr es jetzt in London war. Schon vor Jahren hatte sie damit aufgehört, den Zeitunterschied im Blick zu behalten. Es könnte mitten in der Nacht sein, dachte sie. Trotzdem wählte sie die Nummer.
Und bekam einen Anrufbeantworter zu hören. Die Stimme einer Frau mit dem gleichen Akzent wie Mo bat, eine Nachricht zu hinterlassen. Aishe hätte fast aufgelegt, aber das Gefühl, dass es um jetzt oder nie ging, spornte sie an, etwas zu sagen.
» Hallo…« Beinah hätte sie gesagt Ich bin’s, aber dann sah sie ein, dass Anselo nach all den Jahren ihre Stimme vielleicht nicht wiedererkennen würde. » Hier ist Aishe. Ich wollte nur– anrufen. Hier ist meine Nummer.«
Sie spulte sie herunter und legte auf. Dann fragte sie sich, warum sie es nicht über sich hatte bringen können, sich am Schluss zu verabschieden.
32
Ich werde es ihm an den Augen ansehen, entschied Mo.
Sie saß mit einem Glas Wein in der Hand im Wohnzimmer und tat so, als sähe sie fern. Sie hatte richtiggelegen, dass Chad seine Frist so weit wie möglich ausreizen würde. Aber falsch damit, dass er rechtzeitig zum Abendessen der Kinder zurück wäre, um sie anschließend zu baden und ins Bett zu bringen. Harry und Rosie schliefen jetzt bereits seit einer Stunde, und Chad war immer noch nicht zu Hause.
Sobald er durch diese Tür kommt, werde ich es ihm an den Augen ansehen, dachte Mo. Wenn er mich verlassen will, werde ich das Schuldgefühl sehen.
Mo nahm die Fernbedienung und stellte den Ton so leise, dass sie auch gleich auf die Stummtaste hätte drücken können. Sie horchte angestrengt: Hielt da ein Wagen? Wenn ja, dann war es nicht Chads gewesen, dachte Mo. Selbst wenn er auf Knien zum Haus gerutscht wäre, hätte er die Haustür mittlerweile erreicht. Zum fünfzigmillionsten Mal sah sie auf ihre Uhr.
Vielleicht mach ich mir erst gar nicht die Mühe, ihm in die Augen zu schauen, dachte sie. Vielleicht schlag ich einfach das Weinglas kaputt und ramm ihm die scharfe Kante in die Halsschlagader.
Am Morgen hatte Mo sich befohlen, nicht vor ihrer Angst zu kapitulieren, die jeden Funken Vorfreude auf Chads Heimkehr auszulöschen drohte. Es ist sinnlos, sich darüber aufzuregen, hatte sie sich gesagt. Du weißt nicht, was passieren wird, und du solltest auch nicht versuchen, es vorwegzunehmen. Außerdem: Wärest du eine gute Ehefrau, würde dich mehr interessieren, was er in seiner Auszeit über sich herausgefunden hat. Du solltest dir mehr Gedanken darüber machen, was das für ihn bedeutet und nicht für dich. Und du solltest auch nicht als gegeben voraussetzen, Veränderungen würden unweigerlich bedeuten, dass dein Leben zum Teufel geht. Nur weil du so klare Vorstellungen davon hast, wie etwas laufen soll, heißt das noch lange nicht, dass es nicht auch anders geht. Lass ihn einfach zu einer Frau nach Hause kommen, deren Geist offen und deren Herz großzügig ist– und nicht zu einer feindseligen Harpyie, die sich bedroht fühlt.
Durch die ständige Wiederholung dieses Mantras hatte Mo es relativ ruhig durch den Tag geschafft. Selbst als Chad nicht rechtzeitig zu Hause war, um Harry und Rosie zu sehen, bevor sie ins Bett gingen, hatte sie immer noch genügend Reserven an gutem Willen aufbringen können, um im Zweifel für den Angeklagten zu stimmen.
Doch jetzt waren alle Reserven aufgebraucht. Jetzt wurde Mo von einem anderen Mantra beherrscht. Es bestand nur aus vier Wörtern, die in einer Wolke reinster, glühendster Verbitterung in ihr pulsierten.
Zur Hölle mit ihm.
Zur Hölle mit ihm, dachte Mo. Zur Hölle mit ihm und zurück,
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