Das nicht ganz perfekte Leben der Mrs. Lawrence
letzten Blick zu. » Vielleicht hat es sich aber auch nur so angefühlt, weil ich kein solcher Flachwichser mehr war.«
Er nickte Benedict zu. » War schön, Sie kennenzulernen.«
» Ganz meinerseits«, erwiderte Benedict, als Patrick an ihm vorbeischritt.
» Meine Güte«, sagte Benedict zu Gulliver, als sich die Haustür hinter ihnen geschlossen hatte. » Das nenne ich mal einen interessanten Verwandten. Ich kann’s kaum erwarten, etwas über die anderen zu erfahren.«
Gulliver sparte sich eine Antwort und warf einen Blick auf die Uhr am Backofen. » Wir haben noch eine halbe Stunde, bis Mum nach Hause kommt. Das reicht nicht, um Macbeth zu Ende zu lesen.«
» Ach, na ja«, meinte Benedict. » Es wird dich sicher nicht überraschen, dass er am Ende stirbt. Andererseits«, fügte er hinzu, » müssen wir das nicht alle?«
Mo sieht schrecklich aus, dachte Benedict. Wie war noch der Ausdruck, den seine Mutter so gern gebrauchte, wenn jemand bleich und kränklich aussah? Ah ja: mitgenommen. Mo sah sehr mitgenommen aus.
Von Harry hatte Benedict erfahren, dass Daddy wieder da war und Geschenke mitgebracht hatte: Für Harry einen neuen Holzzug für seine Eisenbahn und für Rosie eine Plüschkuh, die muhte, wenn man sie drückte. An diesem Morgen gab es viel Gemuhe, weil Rosie ihre Kuh unermüdlich auf den Wohnzimmerteppich presste.
Benedict nahm an, dass Daddys Rückkehr für Mo nicht so toll war wie für die Kinder und sie deshalb so mitgenommen aussah. Aber er traute sich nicht zu fragen, und da Mo kein Wort darüber verlor, beschloss Benedict, das Thema auf sich beruhen zu lassen.
Aber als sie eine Stunde nach seiner Ankunft immer noch am Küchentisch saß, fühlte er sich verpflichtet nachzufragen. Da er sich nicht darauf verließ, dass sich Rosie auch weiterhin zuverlässig mit dem Quetschen ihrer Kuh beschäftigen würde, setzte er sie sich auf die Hüfte, um sie in die Küche mitzunehmen. Er war noch im Flur, als es klingelte. Benedict zögerte kurz, strebte jedoch dann zur Haustür. Wahrscheinlich waren es diesmal wirklich die Zeugen Jehovas, dachte er. Jedenfalls kaum…
Patrick vor der Tür blinzelte verblüfft.
» Läuft hier irgendein Klon-Experiment?«, fragte er. » Oder bin ich ohne es zu wissen in einen Kaninchenbau gefallen?«
» Nein, ich bin’s wirklich«, antwortete Benedict. » Ich bin auch Mos – äh, Kinderbetreuung.« Er zog die Tür weiter auf. » Kommen Sie rein. Ich fürchte aber, sie ist nicht in der besten– na, Sie werden ja sehen.«
Und Patrick sah es. Er sah, dass Mo, obwohl es zwei Uhr mittags war, es weder geschafft hatte, sich zu duschen, noch das T-Shirt und die weite Baumwollhose zu wechseln, die sie offenbar als Pyjama trug. Er sah, dass der Kaffee vor ihr bereits einen öligen Film gebildet hatte, und das wahrscheinlich schon vor geraumer Zeit. Er sah, dass sie den Kopf gesenkt hielt und ins Nichts starrte. Selbst als die beiden Männer, der eine mit ihrer kleinen Tochter auf der Hüfte, zu ihr kamen, nahm sie sie nicht wahr– bis Patrick sich zu ihr hinunterbeugte und sie auf die Wange küsste.
» Hey«, sagte er. » Schlechter Tag?«
Orientierungslos starrte Mo zu ihm hoch. Dann verzog sie das Gesicht und brach in Tränen aus.
» Oh, du Arme.« Patrick setzte sich neben sie, nahm sie in die Arme, drückte ihren Kopf sanft an seine Brust und streichelte ihren Rücken. » Du Arme, du Arme.«
Benedict hielt sich im Hintergrund, unschlüssig, was er tun sollte. Rosie schränkte seine Möglichkeiten ein, indem sie sich auf seine Wange stürzte.
» Aua!« Benedict löste ihre Fingerchen von seinem Kiefer. » Schon gut, schon gut!«
Er stellte sich in Patricks Sichtfeld und wies mit dem Daumen zum Wohnzimmer hinter sich. » Ich, äh, gehe mal…«
Patrick nickte, und Benedict ertappte sich dabei, Rosie in einem Tempo aus der Küche zu bringen, das er kaum noch als taktvollen Rückzug rechtfertigen konnte.
Ich bin eine Memme, dachte er. Beim leisesten Anzeichen von Konflikten ergreife ich die Flucht.
Abgelenkt setzte er Rosie ziemlich heftig auf ihrem Spielteppich ab. Verblüfft verzog sich ihr Mund zu einem großen O, und eine Sekunde befürchtete Benedict, sie würde anfangen zu weinen. Doch sie juchzte schrill und klatschte in die Hände. Rosie hatte erst vor Kurzem entdeckt, dass Krabbeln besser war, als herumgetragen zu werden, und bewegte sich neuerdings mit erschreckender Geschwindigkeit über den Boden. Jetzt packte sie Benedicts Füße und zog sich an
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