Das Niebelungenlied
Leben. Der Kampflärm hatte sich gelegt. Die Ritter legten die Schwerter aus der Hand.
34 . WIE SIE DIE TOTEN AUS DEM SAAL WARFEN
Die Fürsten ließen sich ermattet nieder. Hagen und Volkêr gingen vor den Saal. Sie lehnten sich übermütig auf ihre Schilde und führten kluge Reden. Gîselher sagte: »Liebe Freunde, noch dürft Ihr Euch nicht ausruhen, Ihr müßt die Toten aus dem Haus bringen. Wir haben gewiß noch weitere Angriffe zu erwarten. Sie sollten uns nicht längervor den Füßen liegen. Ehe die Hunnen uns überwinden, werden wir ihnen noch Wunden beibringen, daß es mir eine Freude ist. Dazu bin ich fest entschlossen.«
»Wohl mir, daß ich einen solchen Herrn habe«, sagte Hagen dazu. »Den Rat, den unser junger Herr gegeben hat, gibt nur ein ganzer Mann. Deswegen seid zuversichtlich, ihr Burgunden.« Sie führten den Vorschlag aus. Wohl siebentausend Leichen trugen sie zur Tür und warfen sie vor die Treppe hinunter. Manche waren nicht schwer verwundet, so daß sie bei behutsamerer Behandlung sich wieder hätten erholen können, aber die kamen durch den tiefen Fall zu Tode. Die Angehörigen klagten laut.
Da rief Volkêr, der Spielmann, ihnen zu: »Nun sehe ich, daß es wahr ist, was man mir erzählt hat. Die Hunnen sind feige. Sie weinen wie die Weiber. Sie sollten sich lieber um die Verwundeten kümmern.« Da dachte ein Markgraf, er hätte das in freundlicher Absicht gesagt. Er sah einen seiner Verwandten im Blut daliegen, den umschlang er mit den Armen und wollte ihn wegtragen. Während er sich über ihn beugte, tötete ihn der kühne Spielmann mit einem Speerwurf. Die anderen ergriffen bei diesem Anblick die Flucht, sie verwünschten alle den Spielmann. Er hob eine scharfe Lanze auf, die ein Hunne ihm hinaufgeschossen hatte, und warf sie kräftig über den ganzen Burghof hin; so trieb er die Hunnen weiter vom Saal weg. Allenthalben zitterten die Leute vor seiner großen Kraft. Vor dem Haus standen Tausende.
Volkêr und Hagen begannen nun, Etzel alles vorzutragen, was sie auf dem Herzen hatten. Das sollte ihnen später Unglück bringen. Hagen sagte: »Es wäre gut für die Zuversicht des Volkes, wenn seine Herren in der vordersten Reihe kämpften, wie es jeder der meinen tut. Hinter ihren Schwertern fließt Blut.« Etzel ergriff unerschrocken seinenSchild. »Nehmt Euch in acht«, sagte Kriemhilt. »Biete ihnen lieber Gold in randvollen Schilden an. Wenn Hagen Euch erreicht, seid Ihr ein Kind des Todes.« Der König wollte aber nicht ablassen vom Kampf, auf den ein so mächtiger Fürst sich eigentlich nicht einläßt, und man mußte ihn gewaltsam am Schildriemen zurückhalten. Hagen begann ihn zu verhöhnen.
»Zwischen Etzel und Sîfrit hat keinerlei Verwandtschaft bestanden. Er hat sie geliebt, bevor du sie überhaupt zu Gesicht bekamst: Warum schmiedest du also Pläne gegen mich, du feiger König?« Kriemhilt war erzürnt, weil Hagen sie öffentlich hatte beschimpfen dürfen, und sie begann abermals gegen die Gäste zu hetzen. Sie sagte: »Wer Hagen von Tronege erschlägt und mir seinen Kopf bringt, dem wurde ich Etzels Schild voll Gold füllen und ihm prächtige Burgen und Ländereien als Lohn geben.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, worauf sie nun warten«, sagte der Spielmann »Ich habe die Ritter noch nie so zaghaft stehen sehen, wenn so große Belohnung ausgeboten war. Das dürfte Etzel ihnen nie verzeihen. Die erst schimpflich das Brot des Königs gegessen haben und ihn nun in der schlimmsten Not im Stich lassen, die stehen hier in Mengen ängstlich herum. Und dabei wollen sie als kühn gelten. Sie werden die Schande nie abtun können.
35 . WIE ÎRINC ERSCHLAGEN WURDE
Da rief der Markgraf Îrinc von Dänemark aus: »Ich habe mein Leben immer auf Ruhm gestellt und große Taten in den Schlachten vollbracht, bringt mir also meine Waffen: Ich will es mit Hagen aufnehmen.«
»Ich rate ab«, sagte Hagen. »Wenn du aber nicht anderswillst, laß die Hunnen zurücktreten. Wer von Euch in den Saal springt, wird übel zugerichtet die Treppe wieder hinuntergeschickt.«
»Deswegen werde ich es nicht aufgeben«, antwortete Îrinc. »Ich habe schon ebenso gefährliche Kämpfe hinter mir. Ich will allein mit dem Schwert gegen dich kämpfen. Was hilft dein Hochmut, wenn alles nur Rederei ist?« Da wurde Îrinc gewaffnet, auch Irnfrit von Thüringen und der starke Hâwart mit tausend Männern – die wollten Îrinc helfen. Der Spielmann sah eine große Schar bewaffnet und in Helmen mit Îrinc
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