Das Niebelungenlied
aus!« Der Gastgeber war in großen Ängsten, denn er entkam seinen Feinden kaum und verlor einen Freund nach dem anderen. Er saß sehr unruhig da: Was half es ihm, daß er König war? Kriemhilt rief Dietrîch an: »Hilf mir, edler Ritter, daß ich mit dem Leben davonkomme, um aller Fürstentugenden der Amelungen willen. Wenn Hagen bis zu mir vordringt, steht der Tod vor mir.« – »Wie soll ich Euch helfen«, antwortete Dietrîch. »Ich habe ja Sorge um mich selbst. Gunthers Männer sind so erbittert, daß ich jetzt niemand beschützen kann.« – »Nein! Nein, Herr Dietrîch, edler Ritter, beweise doch jetzt deine ehrenhafte Gesinnung und hilf mir heraus, sonst werde ich umkommen.« Kriemhilt war in schrecklicher Angst. »Ich will versuchen, ob ich Euch helfen kann; freilich habe ich niemals so viele Ritter in solchem Zorn gesehen.« Er begann mächtig zu rufen, so daß seine Stimme erschallte wie ein Kriegshorn und die weitläufige Burg erzitterte. Dietrîchs Stärke war ungeheuer. Gunther vernahm mitten im Kampf seine Stimme und begann zuzuhören. »Vielleicht haben die Unseren ihm jemand erschlagen«, sagte er. »Ich sehe ihn auf dem Tisch, er winkt. Freunde, Burgunden, haltet ein, wir müssen erfahren, was ihm zugestoßen ist.« Als König Gunther bat und befahl, hielten sie die Schwerter still. Es zeugte von großer Beherrschung, daß niemand zuschlug. Er fragte Dietrîch: »Was ist Euch angetan worden von meinen Männern?Ich bin zu Buße und Ausgleich bereit. Sollte Euch etwas zugestoßen sein, würde ich das sehr bedauern.« Dietrîch antwortete: »Mir fehlt nichts. Laßt mich mit meinem Gesinde unter Eurem Schutzgeleit nach draußen gehen; dafür will ich Euch stets danken.« Da sagte Wolfhart: »Warum bittet Ihr jetzt schon? Der Spielmann hat die Tür nicht so fest versperrt, daß wir sie nicht öffnen könnten und hindurchgehen.« – »Schweigt«, sagte König Dietrîch. »Ihr habt den Teufel getan.« Gunther sagte: »Ich erlaube Euch, führt viel oder wenig hinaus, nur meine Feinde nicht, die sollen hierbleiben.« Dietrîch faßte die verängstigte Königin unter die Arme und auf der anderen Seite führte er Etzel mit sich fort. Ihm folgten seine sechshundert Männer. Da erhob auch der Markgraf Rüedegêr seine Stimme: »Sagt uns, ob noch mehr aus dem Haus gelassen werden sollen, die Euch befreundet sind? Unter Freunden soll unverbrüchlicher Friede sein.« Darauf antwortete Gîselher: »Wir sichern Euch Frieden und Ersatzleistung zu, denn Ihr seid keine Verräter. Ihr sollt unangefochten weggehen mit Euren Freunden.« Als Herr Rüedegêr den Saal verließ, folgten ihm fünfhundert oder mehr aus Pöchlarn, Freunde und Dienstleute, die Gunther später schweren Schaden zufügen sollten. Ein hunnischer Ritter sah Etzel dicht neben Dietrîch gehen und wollte daraus Vorteil ziehen. Dem versetzte der Spielmann einen solchen Schlag, daß sein Kopf Etzel vor die Füße fiel.
Als der Herr des Landes vor das Haus trat, wandte er sich um und blickte zu Volkêr hinauf. »Oh, wehe über diese Gäste! Es ist furchtbar, daß alle meine Krieger tot vor ihnen liegen sollen. Wehe über das ganze Fest. Da ficht einer wie ein wilder Eber, der heißt Volkêr, und das ist ein Spielmann. Ich danke es meinem Glück, daß ich diesem Teufel entronnen bin. Seine Lieder klingen schrecklich, seine Bogenstrichesind rot, seine Töne töten die Männer. Ich weiß nicht, was er gegen uns hat. Noch nie hat ein Gast mir solches Leid bereitet.«
Als alle, denen es erlaubt war, den Saal verlassen hatten, erhob sich innen wieder unmäßiger Lärm. Die Gäste rächten sich weiter. Was für Helme Volkêr zerbrach! Gunther wandte sich um zu ihm. »Hört Ihr, Hagen, was Volkêr dort den Hunnen vorspielt, die der Tür nahe kommen? Er hat rotes Harz auf seinen Geigenbogen gestrichen.« – »Es tut mir ungeheuer leid«, sagte Hagen, »daß ich vorhin in der Rangordnung höher gesessen habe als er. Ich war sein Gefährte, er meiner, und wenn wir wieder heimkommen, wollen wir es unverbrüchlich bleiben. Sieh, König, Volkêr ist dir ergeben: Er verdient sich bereitwillig dein Silber und Gold. Sein Geigenbogen schneidet durch den harten Stahl. Er zerbricht den Zierat auf den strahlenden Helmen. Ich habe nie einen Spielmann so wunderbar dastehen sehen wie Volkêr heute. Seine Lieder hallen durch Helm und Schild. Er sollte auf guten Pferden reiten und prächtige Gewänder tragen.«
Von den Hunnen, die im Saal gewesen waren, war keiner mehr am
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