Das Niebelungenlied
Schild und Harnisch viele Wunden bei, von denen er sich nicht erholen konnte. Als er die Wunden fühlte, hob er seinen Schild höher über das Kinn. Er meinte, er habe das Schlimmste schon hinter sich; aber Hagen fügte ihm noch mehr zu. Er sah einen Speer vor seinen Füßen liegen und warf ihn auf Îrinc, daß dem der Schaft aus dem Kopf ragte. Er hatte ihm ein schlimmes Ende bereitet. Îrinc mußte zu den Dänen fliehen. Ehe man ihm den Helm abband, riß man ihm den Speer aus demKopf, da trat der Tod ihn an. Seine Verwandten weinten. Die Königin trat zu ihm und beklagte ihn. Sie weinte über seine Wunden und war erbittert. Er sagte zu ihr, und seine Angehörigen hörten es: »Weint nicht, herrliche Frau. Was hilft das? Ich muß an meinen Wunden sterben. Der Tod läßt mich Euch und Etzel nicht länger dienen.« Zu den Thüringern und Dänen sagte er: »Keiner von Euch wird die Gabe der Königin bekommen, das rote Gold. Wenn Ihr Hagen angreift, habt Ihr den Tod gewählt.« Er war bleich geworden, er trug die Zeichen des Todes. Es war schlimm für sie, und da er nicht leben konnte, mußten sie kämpfen.
Irnfrit und Hâwart eilten mit etwa tausend Kriegern vor den Saal. Überall entstand ungeheuerer Lärm, die Speere flogen nur so auf die Burgunden zu. Irnfrit lief gegen den Spielmann an. Der Spielmann schlug dem Grafen durch den festen Helm, so zornig war er. Irnfrit schlug zurück, daß die Fugen des Harnischs zerbrachen und die Funken stoben. Aber der Graf fiel doch tot nieder vor dem Spielmann. Hâwart und Hagen waren aneinandergeraten, und wenn einer es bemerkt hätte, wäre er erstarrt in Staunen. Unablässig sausten die Schwerter nieder an ihren Händen. Hâwart fand den Tod. Die Thüringer und Dänen trieb der Verlust ihrer Herren zu immer grimmigerem Ansturm, ehe sie zur Tür vordrangen. Mancher Helm und Schild ging dabei in Stücke.
»Weicht zurück, laßt sie herein«, sagte Volkêr. »Was sie vorhaben, wird nichts. Drinnen werden sie in kurzer Zeit den Tod finden. Sie bezahlen die Anschläge der Königin mit dem Leben.« Die Angreifer drangen in den Saal, und manchem sank der Kopf zu Boden, viele mußten sterben unter den schnellen Schlägen der Burgunden. Tausendundvier waren hineingekommen. Die Schwerter blitzten in flinken Schwüngen. Alle wurden erschlagen. Man mußte staunen über die Burgunden.
Dann wurde es still. Das Blut strömte von den Leichen durch die Abflußlöcher zu den Rinnsteinen. Die Burgunden ruhten sich aus. Sie legten die Waffen und die Schilde aus der Hand. Der Spielmann stand noch vor der Tür und wartete, ob einer den Kampf mit ihm aufnehmen wollte.
Der König klagte, auch seine Frau trauerte. Die Mädchen und die Frauen rangen die Hände vor Schmerz. Der Tod hatte ihnen geschworen, daß sie noch viele Ritter durch die Fremden verlieren sollten.
36 . WIE DIE KÖNIGIN DEN SAAL NIEDERBRENNEN LIESS
»Nun bindet die Helme ab«, sagte Hagen. »Ich und mein Freund wollen für Euch sorgen. Und wenn die Hunnen es noch einmal versuchen wollen, werde ich Euch so schnell wie möglich warnen.« Da entwaffneten sich die Ritter. Sie setzten sich auf die Feinde, die durch ihre Hände zu Tode gekommen waren. Den vornehmen Gästen wurden üble Aufmerksamkeiten erwiesen.
Noch vor dem Abend hatten der König und die Königin es zuwege gebracht, daß die hunnischen Ritter einen neuen Angriff unternahmen. Zwanzigtausend standen vor den Burgunden, und sie mußten den Kampf aufnehmen. Sie wurden hart bestürmt. Dancwart eilte von seinen Herren zu den Feinden vor der Tür; man hätte annehmen sollen, er sei sofort tot gewesen, aber er kam unversehrt hinaus. Der Kampf dauerte an, bis die Nacht sie hinderte. Die Burgunden wehrten sich den ganzen Sommertag lang gegen die Feinde, und viele lagen tot vor ihnen. Es war die Sonnwendzeit, als der ungeheure Mord geschah, mit dem Kriemhilt ihr Herzeleid an ihren nächsten Verwandten undvielen anderen Männern rächte. König Etzel sollte keine Freude wieder erleben.
Der Tag war zu Ende. Die Burgunden waren nun doch in Sorge. Sie meinten, daß ein schneller Tod besser sei, als lange Qual zu erdulden und maßlose Leiden zu erwarten. Da baten sie um Frieden. Sie verlangten den König zu sehen. Mit Blut besudelt und vom Harnisch geschwärzt, traten die drei Könige aus dem Haus. Sie wußten nicht, wem sie ihr Unglück klagen sollten.
Etzel und Kriemhilt traten vor sie. Sie waren die Landesherren, darum vergrößerte sich ihre Schar ständig. Etzel sagte:
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