Das Niebelungenlied
»Was wollt Ihr von mir? Ihr hofft auf Frieden, aber das ist unmöglich. Nach so großem Schaden, wie Ihr ihn mir angetan habt, sollen Friede und Sühne Euch ewig verweigert werden. Ihr sollt Euch Eurer Taten nicht freuen, solange ich lebe: Ihr habt mein Kind getötet und viele meiner Verwandten.«
Darauf antwortete Gunther: »Dazu hat uns große Not gezwungen. Deine Krieger haben mein ganzes Gesinde in den Unterkünften erschlagen, wie habe ich das verdient? Ich kam vertrauensvoll zu dir, ich dachte, du wärst mein Freund.« Und Gîselher sagte: »Ihr Männer Etzels, die ihr noch am Leben seid, was habt ihr gegen mich? Was habe ich euch getan? Da ich doch in bestem Willen in dieses Land geritten bin.«
Sie antworteten: »Deine Güte ist so groß, daß die ganze Burg davon voll Jammer ist. Wir gönnten dir, daß du nie aus Worms hierhergekommen wärst. Du und deine Brüder, ihr habt das Land mit Waisen erfüllt.«
Voller Zorn sagte Gunther: »Wenn ihr diese unselige Feindschaft zu einem Ausgleich bringt, wäre das für beide Teile gut. Was Etzel uns antut, tut er ohne Anlaß.«
Der Hunnenkönig antwortete seinen Gästen: »Mein undEuer Unglück lassen sich nicht vergleichen. Wegen des Schadens und der Schande, die Ihr mir zugefügt habt, soll keiner von Euch lebend davonkommen.«
Gêrnôt sagte: »Gott lasse Euch barmherzig handeln. Tötet uns, die wir in der Fremde sind, aber laßt uns hinaus ins Freie – das würde Euch zu Ehre gereichen. Laßt es kurz sein, was wir noch erdulden müssen. Ihr habt so viele unversehrte Kämpfer, denen würden wir bald erliegen im Kampf, denn wir sind ermüdet. Wie lange sollen wir diese Quälerei noch aushalten?«
Die Ritter Etzels hätten sie wohl aus dem Palast nach draußen gelassen; das hörte Kriemhilt, und es erbitterte sie. Darum wurde den Fremden der Frieden verweigert, noch ehe er geschlossen war. »Nein, Ihr Hunnen, ich rate Euch ernstlich ab von Eurem Vorhaben, laßt die Mörder nicht aus dem Saal, sonst müßt Ihr sterben. Wenn keiner mehr lebte als meine Brüder, und sie kämen in die Zugluft und kühlten sich ab, dann wärt Ihr alle verloren. Es gibt keine kühneren Kämpfer auf der Welt.«
Da sagte Gîselher: »Meine schöne Schwester, ich habe mich zu meinem Schaden auf deine Einladung verlassen. Wodurch habe ich den Tod von den Hunnen verdient? Ich war dir immer treu, habe dir kein Leid angetan. Ich bin hierhergeritten mit der Bedingung, du wärst mir freundlich gesinnt, Schwester. Denke daran, uns gnädig zu behandeln. Wir sind darauf angewiesen.«
»Ich kann euch keine Gnade erweisen, ich selbst habe keine erfahren. Hagen hat mir Furchtbares angetan. Solange ich lebe, ist eine Aussöhnung unmöglich. Ihr müßt es alle entgelten«, sagte sie. »Wenn ihr mir Hagen allein als Geisel ausliefert, will ich euch vielleicht leben lassen, denn ihr seid meine Brüder und von der gleichen Frau geboren. Dies stelle ich als Bedingung für eine Versöhnung.«
»Bei Gott, das nicht!« sagte Gêrnôt darauf. »Und wenn wir tausend aus deiner Familie wären, wir wollten doch alle sterben, ehe wir dir einen einzigen Mann als Geisel geben. Das werden wir nie tun.« Gîselher sagte: »Wir müssen ja doch sterben, niemand soll uns an ritterlicher Gegenwehr hindern. Wir stehen immer wieder hier für jeden, der mit uns kämpfen will. Ich habe noch nie einem Freund die Treue verweigert.« Und Dancwart sagte (denn er durfte hierzu nicht schweigen): »Hagen steht noch nicht allein. Es soll denen noch leid tun, die hier einen Ausgleich ablehnen. Ich werde es euch beweisen.«
Da sagte die Königin: »Ihr Helden, nun dringt zur Treppe vor und rächt mein Unglück. Ich will es anständig belohnen. Ich werde Hagen seinen Übermut heimzahlen. Laßt nicht einen einzigen aus dem Haus. Ich werde es an allen vier Ecken anzünden lassen.« Die Hunnen waren gern einverstanden. Sie trieben die Burgunden, die noch draußen standen, mit Schlägen und Speerwürfen in den Saal zurück; das gab großen Lärm. Doch die Fürsten ließen sich nicht von ihren Männern trennen, sie gaben die Treue nicht auf. Da ließ Kriemhilt das Haus anstecken. Ein Wind setzte es in helle Flammen. Ich glaube, kein Heer ist je in größerer Not gewesen. Drinnen riefen sie: »O diese Qual. Wir würden lieber im Kampf sterben. Gott erbarme sich, wir sind alle verloren. Die Königin tobt ihren Zorn gräßlich an uns aus.« Einer von ihnen sagte: »Wir müssen sterben. Was hilft uns der freundliche Empfang, den uns der
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