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Das Nilpferd

Das Nilpferd

Titel: Das Nilpferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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Leute, und nicht daher, daß ich irgendeine mystische Quelle angezapft habe. Und«, ich fand, es war höchste Zeit, ihm das klarzumachen, »es tut mir leid, wenn ich dich enttäuschen muß, aber
Wo der Fluß endet
handelt nicht von der Reinheit der Natur und ihrer Verunreinigung durch den Menschen.«
    »Doch, tut es wohl. Es geht um Umweltverschmutzung.«
    »Es geht darum, daß die Lyrik von Lawrence Ferlinghetti und Gregory Corso ins Schulcurriculum aufgenommen wurde.«
    »Was?« Er starrte mich an, als wäre ich verrückt geworden.
    »Gedichte werden von realen Dingen inspiriert, von wirklichen, beschissenen, konkreten Dingen. Ich habe mir einen sarkastischen Scherz darüber erlaubt, wie die reinenQuellwasser der Poesie von Leuten verschmutzt werden, die ich für nichtssagende und untalentierte Flaschen hielt. Ich habe absichtlich die ausgelutschte alte Metapher von Flüssen verwendet, die zum Meer fließen, bloß damit ich meinen Wunsch befriedigen konnte, diese armen, harmlosen amerikanischen Lyriker als schwimmende Kothaufen zu beschreiben.«
    »Also«, sagte David und rutschte wieder herum, »ich weiß nicht, wo da der Unterschied sein soll. Dein Gedicht hat immer noch meine Bedeutung, oder nicht? Der Fluß beginnt rein, und dann wird er beim Durchfließen von Dörfern und Städten immer dunkler und schmutziger und ekelhafter, bis er zum Meer kommt. Das sagt dein Gedicht immer noch. Ich glaube nicht, daß irgendein Leser was über diese Dichter weiß. Es
ist
über Reinheit.«
    »Ja, aber der springende Punkt ist doch, daß du ein Gedicht nicht mit dem Wunsch anfangen kannst, über ein abstraktes Konzept wie Reinheit oder Liebe oder Schönheit zu schreiben. Ein Gedicht wird aus wirklichen Worten und wirklichen Dingen gemacht. Du fängst mit der niedrigen körperlichen Welt an und mit deinem eigenen niedrigen körperlichen Selbst. Wenn dabei etwas Bedeutung oder Schönheit herauskommt, so ist das, nehme ich an, das Wunder und die Labsal in der Kunst. Wenn du Gold willst, mußt du in eine Mine hinabsteigen, um es aus dem Boden zu hacken, du mußt dir in einer dreckigen Schmiede die Seele aus dem Leib schwitzen, um es einzuschmelzen: Es fällt dir nicht in glänzenden Platten aus den himmlischen Barren. Wenn du Lyrik willst, mußt du erst mal bei der Menschheit mit anpacken, du mußt wochenlang mit Papier und Bleistift kämpfen, bis dir der Schädel dröhnt: Verse werden dir nicht von Engeln oder Musen oder Elementargeistern in den Kopf geleitet. Nein, ich glaube nicht, daßmeine ›Gabe‹, wenn es sie je gab, viel mit deiner gemeinsam hat, Davey.«
    Daran hatte David eine Weile zu knabbern. »Worauf willst du eigentlich hinaus?«
    »Weiß ich nicht, alter Knabe. Das ist die Scheiße dabei. Ich weiß es nicht.«
    Ein Auto hinter mir hupte, und ich merkte, daß ich nicht mal mehr fünfzig fuhr. Mir fiel ein, daß man mit ausgefuchsten Geräten ohne weiteres den Gemütszustand eines Fahrers ablesen können müßte, allein aus seinen Geschwindigkeitsveränderungen und seiner Aggression am Steuer. Ich stellte mir vor, wie in Autos Sensoren installiert würden, die Ungereimtheiten beim Fahren auffingen und unter Bezugnahme auf von kompetenten Psychologen zusammengestellte elektronische Tabellen ihre Ursachen berechneten. Die aus dieser Tabelle ausgewählten Daten würden dann Signale an ein Display auf dem Dach schicken. »Obacht! Der Fahrer dieses Wagens hat gerade fürchterlichen Krach mit seiner Frau gehabt.« – »Dieser Fahrer ist völlig vernarrt in seine neue Liebschaft.« – »Dieser Fahrer ist fürchterlich wütend, nachdem er heute morgen seine Brille nicht finden konnte.« – »Dieser Fahrer zeigt ein ruhiges, ausgeglichenes Temperament.« Ich war überzeugt, wie jener pensionierte Polizeipräsident zu sagen pflegte, daß dies einen großen Beitrag zur Verkehrssicherheit leisten würde. Der einzige Haken lag meines Erachtens in der Möglichkeit, daß routinierte Fahrer geschickter waren als ich, unabhängig von ihrer Laune ausgeglichen zu fahren.
    Wir schlossen wieder zum Lastwagen auf, und ich schüttelte diese ziellose Träumerei ab. Das ist das schlimmste am Fahren, die Gedanken werden in lange Tunnel eingesogen, wie in den Schlaf. Letztlich kämpfst du nicht gegen dieWellen deiner Gedanken an, du wirst von ihnen fortgespült und endest dümpelnd.
    Ich sah zu David hinüber. Er saß, in seinen Sitz zusammengesunken, in jener Apathie mit offenem Mund und glasigen Augen, die Jugendliche so perfekt

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