Das Nilpferd
durchdringend blauen Augen.
»Wenn Sie wollen«, bot ich an, »können Sie einen Abdruck von meinem Gebiß nehmen. Ist das nicht gängige gerichtsmedizinische Praxis?«
»Ich glaube«, sagte sie und erhob sich, »ich werde noch mal ein paar Worte mit David reden. Macht es Ihnen etwas aus, kurz hier zu warten?«
»Nein, nein. Ich kann ja solange Ihre Briefe lesen.«
»Nichts Interessantes dabei«, sagte sie lachend. »Aber in der mittleren Schublade finden Sie einen Aschenbecher.«
Auf dem Notizblock komponierte ich ihr ein kleines Geschenk.
Es kann eine Frau Dr. Seyran
Mit Blicken die Männer skalpieren.
Hast du Sünde im Sinn,
Starrt sie dir aufs Kinn
Und spart dir den Schaum fürs Rasieren.
Darunter schrieb ich: »Mehr als Limericks schaff ich dieser Tage nicht mehr. Bloß schade, daß es keine guten Reime auf ›Margaret‹ gibt … Alles Liebe, Ted Wallace.«
Unter der dicken Eisschicht, dachte ich, lagen die perfekt konservierten Reste eines leidenschaftlichen Herzens. Ich glaubte genau zu wissen, was für Geräusche sie beim Orgasmus von sich geben würde. So zwischen einer quietschenden Tür und einem springenden Jaguar. Horrido. Ich würde nie Gelegenheit haben festzustellen, ob ich recht hatte.
Davey stand ein bißchen schafsmäßig an der Anmeldung herum, während sie seinen Papierkram erledigte. Eine aufmerksame Krankenschwester oder vielleicht Dr. Margaret selbst hatte ihm eine Handvoll Zeitschriften gegeben, die er sich vor den Unterleib halten konnte. Hinter denen stach ein dicker weißer Verband hervor.
»Ich hab’s genäht«, erklärte sie mir. »Die Fäden müßten sich in ein bis zwei Tagen auflösen.«
»Keine bleibenden Schäden?«
»Es wird eine Zeit lang schmerzhaft für ihn sein, Wasser zu lassen, und noch schmerzhafter …«
»Schon klar.«
»Ansonsten geht’s ihm gut. Ich bin sicher, er wird gut heilen.«
»Sie ahnen ja nicht, wie recht Sie haben«, sagte ich unter Davids wütenden Blicken.
»Ich habe ihm außerdem eine Tetanusimpfung zur Auffrischung sowie einige Antibiotika gegeben.«
»Und den Verband kann er nach jedem Pipi selbst wieder anlegen, ja?«
»Oh, damit wird er keine Schwierigkeiten haben, was, Davey?« sagte sie und legte ihm eine Hand auf die Schulter.
»Ich bin in Ordnung«, murmelte er und wand sich wie eine Dose lebender Angelköder ob der Peinlichkeit, daß man sich über seinen Kopf weg über ihn unterhielt, als wäre er fünf Jahre alt.
Die Fahrt aus Norwich heraus verging schweigend. Ich war zu beschäftigt, Pollern und Lastern auszuweichen, als daß ich hätte reden können, und David hatte mit eigenen Gedanken zu kämpfen. Als wir die Stadtgrenze überschritten und es uns hinter einem angenehm langsam fahrenden Lieferwagen gemütlich gemacht hatten, konnte ich mich entspannen und reden.
»Zum Glück«, sagte ich, »ist die Ärztin eine Freundin deiner Mutter.«
»Hat sie gesagt. Sagt sie Mummy was davon?«
»Nein«, sagte ich. »Glaub ich nicht.«
»Ich vielleicht«, sagte Davey zu meiner großen Überraschung.
»Bitte, wenn du das für eine gute Idee hältst.«
Er rutschte unbehaglich auf seinem Sitz hin und her. »Sie muß erfahren, was Simon getan hat. Das war gemein. Es war böse.«
»Nun mal langsam.« Ich wandte den Blick eine Sekunde lang von der Straße ab und sah ihn an. »Was hätte Simon denn sonst machen sollen? Ich meine, er platzt in so eine Szene rein …«
»Er wußte es. Er wußte ganz genau, was los war. Er wußte es, und er war eifersüchtig. Er wollte mich demütigen und mich zerstören. Er war schon immer eifersüchtig, weißt du. Er ist wie der Bruder im Gleichnis vom verlorenen Sohn. Er hält es nicht aus, daß er gewöhnlich ist unddaß Mummy und Daddy finden, daß ich etwas anderes und Besonderes bin.«
»Und das bist du also, ja? Etwas anderes und Besonderes?« Das gräßliche Wort schlug mir immer noch so auf den Magen, daß ich es wiederholen mußte.
»Das weißt du doch, Ted.«
»Auf die Gefahr hin, banal zu klingen, ist das nicht jeder?«
»Ja, das stimmt natürlich auch. Ich glaube wirklich nicht, daß ich etwas so Außergewöhnliches tue. Ich glaube, jeder könnte meine Kraft haben, wenn er nur wirklich wollte.«
»Selbst ich?«
»Gerade du! Du hattest diese Kraft doch schon, als du Lyriker warst. Du hast
Wo der Fluß endet
geschrieben, oder etwa nicht?«
»Ich dachte immer, meine Kraft als Dichter stamme daher, daß ich Form und Metrum studiert habe und natürlich die Lyrik anderer
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