Das Nostradamus-Testament: Thriller (German Edition)
Lippen den Namen ihres Sohnes formen. Sie setzt sich in Bewegung, um zu ihnen zu laufen.
Kommt! Kommt! Kommt! Dracos Stimme. Er zieht sie hinter sich her zur Tür, stößt mehrere Touristen beiseite, die lauthals protestieren.
Silvio weint schluchzend. Ruft nach seiner Mutter.
Zwei von Dracos Männern haben ihre Waffen unter den Kutten hervorgezogen. Laute, panische Schreie. Terroristen! , ruft ein Amerikaner mit Schirmmütze und Schultertasche. Etliche Touristen werfen sich auf den Boden.
K APITEL 32 Der Sohn
F LORENZ,
F REITAGNACHMITTAG
Ohne ein Wort, eine Erklärung, stürzte Angelica Richtung Eingang davon.
»Silvio!«, rief sie.
Mehrere von uns liefen hinter ihr her. Wir drängelten uns durch die Eingangstür nach draußen, raus auf die Seitentreppe. Die Schlange stehenden Touristen wurden auseinandergetrieben. Jemand leistete Widerstand und wollte unbedingt hinein. Andere kletterten über die Holzabtrennung. Eine pummelige Frau wurde umgerissen. Ein Kind, das seine Eltern verloren hatte, stand da und heulte. Ein Kinderwagen kippte um.
Kein Silvio weit und breit.
»Silvio!«, schrie Angelica.
Ich versuchte, sie zurückzuhalten. Sie musste sich getäuscht haben. Aber sie riss sich los. Stürmte auf den Platz vor der Kirche. Dort war niemand zu sehen.
»Silvio …«
»Vielleicht war er es ja gar nicht«, sagte ich.
Angelica drehte sich zu mir um. Das Gesicht tränenüberströmt. »Glauben Sie, ich erkenne meinen eigenen Sohn nicht wieder?«
IX
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FLORENZ – CESENA
FREITAGABEND BIS SONNTAG
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Ich sah den Engel im Marmor und meißelte,
bis ich ihn freigelegt hatte.
MICHELANGELO
Und er ist angetan mit einem Kleide,
das in Blut getaucht ist, und sein Name heißt:
»Das Wort Gottes«.
OFFENBARUNG DES JOHANNES
K APITEL 33 Michelangelos Grab
F LORENZ,
N ACHT AUF S AMSTAG
I
Die riesigen Scheinwerfer warfen ein scharfes Licht auf Michelangelos monumentales Grabmal in der hintersten Ecke von Santa Croce. Im Schutz einer Plane, die über ein Aluminiumgerüst gespannt war, waren Handwerker und Archäologen unter der Aufsicht eines Priesters, von dem niemand von uns so genau wusste, was er eigentlich hier zu suchen hatte, dabei, den Sarg des Renaissancegenies zu heben. Mit Hilfe von Meißeln, Druckluftbohrern und einem Minibagger waren die Bodenfliesen aufgestemmt und der Sarg freigelegt worden. Die Ketten des Krans klirrten, als der Sarg auf ein paar Balken abgestellt wurde.
»Wollen wir hoffen, dass die Überschwemmung keinen unersetzbaren Schaden angerichtet hat«, sagte der Chefkonservator Fabrizio Biniscotti. Damit meinte er die große Überschwemmung 1966, durch die große Teile der Florentiner Innenstadt zerstört und Tausende von Kunstwerken, alten Büchern und Kleinodien vernichtet worden waren.
»Öffnen Sie den Sarg!«, ordnete Nick Carver an.
William Blackmore verschränkte die Arme vor der Brust und trat einen Schritt nach hinten, als fürchtete er, es könne irgendetwas Unerwartetes aus der Truhe herausgeschnellt kommen.
Mit einem scharrenden Geräusch wurde die schwere Abdeckung entfernt.
Mein Herz hämmerte. Beißender, muffiger Gestank schlug uns entgegen.
II
Michelangelo.
Die sterblichen Überreste von Michelangelo di Lodovico Buonarroti Simoni lagen in der Mitte des Sarges, eingehüllt in ein morsches Leichenhemd. Haarbüschel bedeckten Kinn und Schädel der Leiche wie vertrocknete Spinnenweben. Die Knochen der Arme und Hände, die einst einige der großartigsten Kunstwerke der Welt geschaffen hatten, lagen über Kreuz auf dem eingesunkenen Brustkasten. Es war kaum noch mehr übrig von ihm als Staub und Knochen.
Auf der Brust, unter zerbröselnden Gebeinen, ruhte ein Zepter.
Als wollte er das Geheimnis noch im Tode schützen.
Mein Atem stockte, mein Herz übersprang ein paar Schläge, und meine Knie wurden ganz weich.
Der Chefkonservator Fabrizio Biniscotti bekreuzigte sich, fiel auf die Knie und sprach ein stummes Gebet.
Bernardo Caccini schaute von mir zu Nick Carver, der nickte. Behutsam umfasste Caccini das Zepter und löste es aus der zerbrechlichen Umklammerung des Skelettes.
Am oberen Ende war eine Krone mit Lorbeerkranz zu erahnen. Der dicke, lange Stab war mit stilisierten Rosen verziert. Er endete in einem Handknauf oder Griff.
Ich konnte mir Michelangelos großartige Beerdigung lebhaft vorstellen. Die Menschenmassen. Und zwei Männer, die im Geheimen miteinander konspirierten. Viele Meilen von Florenz
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