Das Nostradamus-Testament: Thriller (German Edition)
bevorzugten Gesprächspartner der Fernsehjournalisten gemacht. Bei seinen wissenschaftlichen Kollegen war er hingegen umstritten, da er sich gern zu Themen äußerte, von denen andere mehr Ahnung hatten als er.
Zusammen verfügten sie über ein enormes Netzwerk. Sie als Journalistin und Redakteurin, er als Akademiker. Ihre Abendgesellschaften waren legendär. Künstler, Forscher, Fotomodelle, Unternehmer, Journalisten … Angelica war die mondäne Gastgeberin, die lächelnd von Gruppe zu Gruppe schwebte und dafür sorgte, dass die Gläser der Gäste immer gefüllt waren und kein Gast alleine stand. Lorenzo war der Mittelpunkt. Er postierte sich gern vor einem der großen Fenster, die auf die Straße hinausgingen – hochgekrempelte Hemdsärmel, eine Pfeife in der einen und einen Drink in der anderen Hand – und dozierte über Themen, mit denen er seine Zuhörer fesselte. Zu fortgeschrittener Stunde konnte es passieren, dass Angelica und Lorenzo ihre Oboe und Querflöte hervorholten und ein improvisiertes Konzert gaben. Die letzten Gäste gingen selten vor vier, fünf Uhr in der Früh.
*
Es klopft an der Tür. Einen kurzen Augenblick ist er verleitet, herein zu rufen. Der Schlüssel dreht sich im Schloss. Die Tür geht auf.
Diesmal sind es zwei Männer. Der jüngere ist zwischen dreißig und vierzig. Schwarze Uniform. Groß, kräftig, muskulös. Sein Blick ist auf einen Punkt hinter dem Professor gerichtet. Der andere Mann ist in den Fünfzigern. Er ist schmächtig und hat graue Haare. Schwarzer Mantel mit rotem Saumbesatz und roten Knöpfen. Um den Hals trägt er eine Kette mit edelsteinbesetztem Kreuz, auf dem Kopf einen roten Pileolus, eine runde Scheitelkappe. Ein Kardinal? Unwahrscheinlich.
Guten Tag, Professor Moretti, sagt der Mann. Seine Stimme ist sanft und warm.
Was soll das? Wer sind Sie? Ich verlange eine Erklärung!
Ich bedauere die Art und Weise, mit der wir uns erlaubt haben, Sie zu uns zu holen.
Bedauern? Ich wurde entführt ! Von bewaffneten Rowdys hierhergebracht. In einen Helikopter gezwungen. Und Sie bedauern das?
Wir wären gerne sanfter vorgegangen. Aber die Zeit drängt. Wir sind von Ihrer Kompetenz abhängig.
Warum haben Sie es nicht einfach mit fragen probiert?
Sie sind ein vielbeschäftigter Mann. Wir wissen, wie Ihre Antwort ausgefallen wäre.
Was gibt Ihnen das Recht, sich auf diese absolut ungehörige Art und Weise zu bedienen ? Wer zum Teufel sind Sie?
Ich würde es sehr schätzen, wenn der Herr Professor uns solche Profanitäten ersparen würde.
Wut flammt in Lorenzo auf. Mit erhobener Hand – um dem Kardinal mit dem Finger vor dem Gesicht herumzufuchteln – macht er einen Schritt nach vorn. Er bekommt nicht mit, dass der Jüngere sich bewegt, aber plötzlich ist er da, direkt vor ihm, und hält ihn in einem schmerzhaften Griff fest.
Schon gut, Draco, sagt der Kardinal.
Das Muskelpaket lässt Lorenzo los. Draco.
Lorenzo massiert sich den Arm. Schielt zu Draco, der stramm dasteht und auf seinen Punkt starrt, als hätte der Auftritt eben nie stattgefunden.
Sind Sie Kardinal?, fragt Lorenzo mit einer Kopfbewegung in Richtung des roten Pileolus.
Sehr aufmerksam, Professor Moretti.
Wer seid ihr?
Gottes demütige Diener.
Ha .
Ich verstehe ja, dass Sie aufgewühlt sind, Professor, das können Sie mir glauben. Und ich bitte demütigst um Verzeihung für das Unrecht, das wir zweifelsohne begangen haben.
Der Kardinal legt die Hände aneinander und verneigt sich. Professor Moretti, sagt er mit leiser, flüsternder Stimme, als wollte er sich für die Störung entschuldigen. Er scheint nach den passenden Worten zu suchen. Professor Moretti, Sie haben den Brief gefunden, den Nostradamus an Cosimo I . geschrieben hat.
*
Der Anruf kam an einem frühen Sonntagmorgen. Vor einem Monat ungefähr. Angelica schlief. Er selbst hatte wach gelegen und auf die Dämmerung gewartet. Er wollte nicht zu früh aufstehen. Das erinnerte ihn ans Älterwerden. Sein Großvater war immer früh aufgestanden, in die Küche geschlurft, hatte sich Kaffee gemacht und durch das Küchenfenster die erwachende Stadt beobachtet. So hatten sie ihn dann irgendwann auch gefunden – in der Küche, tot, den lauwarmen Kaffee vor sich auf dem Küchentisch.
Im ersten Augenblick hatte er das Klingeln des Handys für den Wecker gehalten. Angelica schnaufte und drehte sich um. Er nahm das Telefon und meldete sich: Moretti . Leise. Flüsternd. Theo hier, sagte eine Stimme. Es dauerte einige Sekunden, ehe er den
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