Das Nostradamus-Testament: Thriller (German Edition)
französischen Akzent mit dem Namen zusammenbrachte. Theophilus de Garencières wohnte in Salon-de-Provence in Frankreich. Er hatte den Kontakt zu dem schnurrigen Nostradamusforscher seit einem Forschungsaufenthalt in der Stadt gepflegt. Sie waren sich in fast allen Punkten uneinig, was Nostradamus betraf, trotzdem hegte er Sympathien für den sturen und rechthaberischen Franzosen, der jede seiner absurden Behauptungen über Nostradamus mit einem Lächeln und einem Funkeln in den Augen, das durchaus als selbstironisch gedeutet werden konnte, begleitete. Am Telefon hatte Theo ihm erzählt, dass die Uffizien-Konservatorin Regina Ferrari auf einen mit Chiffren und Anagrammen gespickten Brief von Nostradamus an Großherzog Cosimo gestoßen sei. Der Brief hätte einfach so zwischen anderen Dokumenten der Gonzaga-Sammlung gelegen und musste wohl versehentlich dort gelandet sein. Eine nicht unwesentliche akademische Sensation, musste Lorenzo eingestehen. Aber wieso rief Regina Ferrari ihn nicht selber an? Immerhin waren sie alte Kollegen.
Sie traut sich nicht, sagte Theo, nicht so früh am Sonntagmorgen. Ich soll dir ausrichten, dass sie dich in den Uffizien erwartet. Jetzt.
Schnell hatte er sich etwas übergezogen und war aufgebrochen, ohne sich zu rasieren. Regina Ferrari wartete vor einem der Seiteneingänge, als er seinen Alfa Romeo verkehrswidrig halb auf dem Bürgersteig parkte. Sie begrüßten sich. Sprachen leise miteinander. Sie sah aus wie zwanzig. Das dachte er jedes Mal, wenn er sie traf. Zierlich und dunkel. Braune, ernste Augen. Nicht unähnlich der Angelica von vor fünfzehn Jahren.
Der Brief lag in einer Kunststoffhülle in ihrem Büro. Ehe sie ihm die Hülle reichte, hielt sie einen kurzen Vortrag über die Gonzaga-Sammlung. Aus ihrem Mund klang das Ganze sehr viel nüchterner als bei Theo, auch wenn Lorenzo hinter ihrer Zurückhaltung einen unterdrückten Eifer erahnte. Dann gab sie ihm die Kunststoffhülle mit dem Brief. Hinter seiner professoralen und reservierten Fassade spürte er eine kindliche, erwartungsvolle Vorfreude. Ein Brief von Nostradamus an Cosimo de’ Medici!
Ein bemerkenswerter Brief. Stellenweise war die Handschrift kaum zu entziffern. Aber die Chiffren waren klar und deutlich notiert. Er summte zufrieden. Nicht zu glauben! Codes und Anagramme. Astrologische und prophetische Weissagungen. Lobreden auf Cosimo I . und die französische Königin Katharina, die beide Nachfahren des Medici-Stammvaters Giovanni di Bicci de’ Medici waren. Ungeduldig überflog er den Brief. Versuchte, die Krähenfüße zu entziffern, den Brief in einen historischen Kontext zu stellen. Wieso Chiffren? Möglicherweise wegen Katharina de’ Medicis Position am französischen Hof? Die Tochter von Lorenzo II. de’ Medici und Gräfin Madeleine de la Tour d’Auvergne hatte den Prinzen geheiratet, der später König Heinrich II. von Frankreich geworden war. Der Text war ein Sammelsurium aus Glückwünschen, Vorhersagen und Chiffren. Wie üblich warf Nostradamus großzügig mit Komplimenten um sich und versprach ein langes, glückliches Leben voller Reichtum, Liebe und Erfolg.
*
Der Kardinal hüstelt ungeduldig.
Wenn es um den Brief von Nostradamus an Cosimo geht, bin ich nicht der Richtige, sagt Lorenzo.
Jetzt stellen Sie Ihre Autorität auf diesem Gebiet aber gehörig unter den Scheffel, Professor. Wir suchen schon lange nach diesem Brief. Sehr lange. Seit fünfhundert Jahren.
Stille.
Lorenzo schaut vom Kardinal zu Draco.
Fünfhundert Jahre?, wiederholt Lorenzo mit einem ungläubigen Lachen.
Irgendwo in der Burg, gedämpft von dicken Steinwänden, läutet eine Kirchenglocke. Er glaubt, Mönchsgesang zu hören, aber so leise, dass er sich nicht sicher ist, ob er sich das nur einbildet.
Wer seid ihr?, fragt er erneut.
Gottes Diener. Durch die Jahrhunderte haben wir viele verschiedene Namen gehabt. Heute nennen wir uns stolz Vicarius Filii Dei. Stellvertreter des Sohnes Gottes. Jeder Einzelne von uns hat sein Leben dem heiligen Dienst geweiht.
Lorenzo streicht mit den Fingerspitzen über seine linke Wange. Er müsste sich rasieren.
Das ist nicht möglich, sagt er. Vicarius Filii Dei gibt es nicht.
Euch das glauben zu machen war achthundert Jahre lang unser Ansinnen.
Wie die meisten anderen hatte er geglaubt, Vicarius Filii Dei sei nur ein Hirngespinst von Verschwörungstheoretikern. Laut Mythos residierte Vicarius Filii Dei in einer Kombination aus Festung und Kloster und wurde von einem Kardinal in
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