Das Nostradamus-Testament: Thriller (German Edition)
pectore geleitet. Formal war der Orden der Inquisition unterstellt, aber seine bloße Existenz, ganz zu schweigen von seinen mysteriösen Aufgaben, war stets als Spekulation abgetan worden. Man hatte köstlich darüber gelacht.
Wie ist das möglich?, fragt Lorenzo. Wie konnte der Orden achthundert Jahre lang im Geheimen existieren?
Der Lachanfall des Kardinals kommt überraschend. Draco verzieht keine Miene.
Nun, sagt der Kardinal, nachdem er sich wieder beruhigt hat, erklärt sich das nicht von selbst? Wir haben die haarsträubendsten Gerüchte über unsere Existenz in Umlauf gebracht. Indem wir das Unwahrscheinliche untermauert haben, ist es uns gelungen, uns selbst zu einer Illusion zu machen, einer Fiktion, an die nur die Fanatischsten glauben. Und diejenigen, die uns hätten entlarven können, haben sich am Ende fürs Schweigen entschieden. Professor, wir haben einen Auftrag für Sie.
Der Kardinal zieht eine Kopie des Briefes von Nostradamus an Cosimo aus einer Ledermappe.
Sie sollen die Chiffren für uns entschlüsseln, sagt er.
Mein lieber Kardinal, Sie werden verstehen … Zum einen ist die Dechiffrierung jahrhundertealter Codes sehr zeitaufwändig und oft unmöglich. Zum anderen habe ich nicht die Absicht, mit Ihnen zusammenzuarbeiten.
Professor, Professor …, sagt der Kardinal mit einem Seufzen.
Was glauben Sie, wieso wir Sie gewaltsam hierhergebracht haben?, fragt Draco. Es ist das erste Mal, dass er sich zu Wort meldet. Seine Stimme ist tief und rau. Wir wissen um Ihre Verdienste, Ihre Integrität, Ihre akademische Unabhängigkeit. Und natürlich war uns klar, dass Sie sich weigern würden, mit uns zu kooperieren. Aber wir brauchen Sie. Sie sind ein Werkzeug Unseres Herrn, Professor. Wie wir alle. In Demut und Andacht.
Lorenzo verdreht die Augen und verschränkt die Arme vor der Brust. Die Worte erstaunen ihn. Nicht nur der religiöse Wahn dahinter, sondern ebenso sehr Dracos gepflegte Ausdrucksweise. Er sieht aus wie ein Schläger, redet aber wie ein Priester.
Sicher wäre es möglich, andere … Codeknacker zu finden, sagt der Kardinal und betont das Wort verächtlich. Aber Ihre Kompetenz und Ihr historisches Wissen sind unumstritten. Es geht hier um mehr als Worte, mehr als Geheimzeichen, mehr als isolierte Codes. Es geht um das grundsätzliche Verständnis der Gedankenwelt des Renaissancemenschen, der Medici, Menschen wie Nostradamus und Cosimo I . Und darum brauchen wir Sie und keinen anderen.
Wieso ist es so wichtig für Sie, die Chiffren zu knacken?
Wir suchen nach Gott.
Nach Gott? In einem Brief von Nostradamus an einen der Medici?
In Ihrem Vortrag haben Sie auf Nostradamus’ Testament verwiesen. Dabei scheinen Sie gar nicht zu wissen, was das eigentlich ist …
Wenn es das überhaupt geben sollte, ist es eine Sammlung versteckter Hinweise auf … Was weiß ich. Man kann viel über Nostradamus sagen, aber besonders gottesfürchtig war er nicht. Er war viel mehr an Medizin, Astrologie und Magie interessiert als am Herrgott.
Nostradamus interessiert uns nicht als Person. Aber er wusste etwas über die Bundeslade.
Lorenzo kann sich ein leises Lachen nicht verkneifen.
Der Kardinal legt die Stirn in Falten.
Nostradamus wusste, wo die Bundeslade versteckt wurde. Jahves Schrein mit den Gesetzestafeln! In der Bundeslade verbirgt sich Gott.
Ich bitte Sie, den Gesetzesschrein gibt es nicht, das ist ein bibelmythologisches Symbol. Hätte die Bundeslade je existiert, wäre die Weltgeschichte …
Der Kardinal hebt die Hand. Was immer Sie glauben, mein Freund, ist von geringer Bedeutung. Ihr Auftrag ist es, uns zu helfen, die Lade zu finden.
Halten Sie mich für einen Zauberer?
Aus der Antwort des Kardinals sprach tiefster Ernst: Nein. Das wüssten wir.
Sie sind doch nicht ganz bei Trost …
Um die Bundeslade zu finden, müssen wir zuerst einmal Nostradamus’ Testament aufspüren. Dafür haben wir Sie geholt. Das ist Ihr Auftrag.
Bedaure. Kein Interesse.
In unserem Besitz befindet sich eine heilige Schrift – so heilig, dass sie nicht einmal in der Bibel erwähnt wird, weil die Weisheit darin nur für wenige Auserwählte bestimmt ist. Diese Schrift prophezeit vier Reiter, die das Armageddon, den Weltuntergang, verkünden sowie Jesu Rückkehr, um die Lebenden und die Toten zu richten.
Die Offenbarung des Johannes?
Nein. Nicht die Apokalypse. Ein anderer Text. Draco?
Er ist voller Vorzeichen, sagt Draco. Pest! Krieg! Hungersnöte! Tod! Wir Menschen waren blind, dass wir diese
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