Das Nostradamus-Testament: Thriller (German Edition)
den Helden spielen muss.
Wie gesagt, das ist nicht mein Ding.
Unten im Rezeptionsbereich war die Polizei noch immer mit ihren Verhören beschäftigt. Autoritär auftretende Männer in stramm sitzenden Uniformen. Misstrauische, verständnislose Blicke. Ein Professor? Entführt? Die Verwirrung stand ihnen ins Gesicht geschrieben. Manuskripte? Bestimmt hätten sie sich gewünscht, es wäre ein Kongress für Drogenbarone aus Kolumbien gewesen. Damit hätten sie besser umgehen können. Aber Chiffren ?
Ich hatte meine Aussage schon gemacht, sie hatte aber auch nicht mehr Licht ins Dunkel gebracht als die meiner Kollegen. Danach war ich schnell wieder nach oben in mein Zimmer verschwunden. Durch den Spalt der Gardine sah ich auf den Parkplatz. Hinter einer vorläufigen Absperrung hatten Journalisten eine Art Pressezentrum eingerichtet. Frisch geschminkte Reporterinnen redeten voller Eifer in einen Wald aus Kameras und Mikrofonen. Kabel wanden sich zu riesigen Ü-Wagen, auf deren Dächern Satellitenschüsseln prangten.
Mutlos ließ ich mich auf das Hotelbett sinken. Was war nur mit mir los? Lag es in meinen Genen, dass ich immer wieder in solchen Situationen landete? Das war ungeheuer anstrengend. Ich war kein Held. Nicht mal im Traum. Ich will nach Hause, wenn es um mich herum zu stürmen beginnt. Will in meine Wohnung und alle Türen abschließen. Will die Wirklichkeit aussperren und Vivaldi hören. Mehr nicht. Deshalb hatte ich mich von all dem Lärm und Aufruhr in mein Zimmer zurückgezogen, mein Sanktuarium. Dieses Mal wollte ich nicht in die Sache hineingezogen werden.
Da klopfte es an der Tür.
Ich hätte es wissen müssen.
Ein paar Sekunden tat ich so, als wäre ich nicht da. Saß mucksmäuschenstill auf meinem Bett und hielt die Luft an.
Aber es klopfte weiter. Unnachgiebig.
III
Manchmal weiß man einfach, dass man die Tür nicht öffnen sollte, wenn es klopft. Dass es kein gutes Ende nehmen wird, nicht gut enden kann.
Trotzdem hat man keine Wahl.
Ich stand vom Bett auf. Hielt die Luft an. Und öffnete die Tür.
Angelica Moretti.
Wer sonst?
Blass, verängstigt, wunderschön.
»Bjørn«, sagte sie. Es klang wie Bjorn . Wie mit einem Bonbon im Mund.
Und dann begann sie zu weinen.
Was sollte ich tun? Sie wegschicken? Natürlich nicht. Ich ließ sie herein. Sie blieb in der Mitte des Zimmers stehen, ich schob ihr einen Stuhl hin und setzte mich selbst auf die Bettkante.
»Entschuldigung«, murmelte sie.
Wofür?, dachte ich.
»Ich habe die Beherrschung verloren«, fuhr sie fort. »Draußen beim Helikopter. Ich weiß, dass Sie es gut meinten, als Sie mich zurückgehalten haben. Ich war nicht ich selbst.«
»Wollen Sie etwas trinken? Ein Glas Wasser?«
Sie nickte. Ich ging ins Bad und ließ das Wasser etwas laufen, ehe ich die Plastikverpackung von einem der Zahnputzgläser entfernte und es füllte. Sie leerte das Glas in wenigen Zügen. Ohne zu fragen, ob es in Ordnung sei, zündete sie sich mit zitternden Fingern eine Zigarette an.
»Sie haben Silvio entführt«, sagte sie.
»Silvio?«
»Unseren Sohn. Mein Gott! Er ist erst sieben!« Die letzten Wörter schrie sie förmlich. »Unsere Haushälterin Beatrice hat ihn wie immer zur Schule gebracht. Da haben sie ihn abgefangen. Direkt vor der Schule. Mein Gott, vor der Schule! Einen siebenjährigen Jungen! Was sind das nur für Unmenschen?«
»Was sagt die Polizei dazu?«
»Was sollen sie sagen? Sie ermitteln mit allen zur Verfügung stehenden Kräften. Wären Sie bereit, mir zu helfen, Bjørn?« Sie beugte sich vor und ergriff meine Hand. Starrte mich mit diesen … mit ihren Augen an. »Sie müssen mir helfen! Bitte, Bjørn.« Die ganze Zeit über klang mein Name nach Bjorn .
Ich bin Archäologe. Mein Fachgebiet ist das Nachdenken und Abwägen. Ich bin jemand, der Wochen unter der brennenden Sonne und danach Monate in einem kalten Museumsarchiv verbringen kann. Ich bin ein Systematiker, ein Analytiker. Ich bin nicht dazu geschaffen, mich mit gewalttätigen Entführern herumzuschlagen. Ich bekomme schnell Angst, und ich verabscheue Gewalt und Schmerzen. Ihr helfen? Die Antwort musste ein laut schallendes Nein sein. Aber der flehende Blick, die warme Hand und ihr nach Menthol riechender Atem machten mich schwach. So ist das immer. Ich bin hartnäckig, aber nicht willensstark. Stellt man mich vor eine bittende Frau, bin ich hilflos.
»Natürlich helfe ich Ihnen!«, sagte ich. Ich, ein Ritter in strahlender Rüstung.
IV
Nicht meine Sache. Wie
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