Das Nostradamus-Testament: Thriller (German Edition)
und Revolten, Dürren und Überflutungen, Erdbeben und Pest, Hunger und Kometeneinschlägen. Eine Endzeitprophezeiung nach der anderen, aber die Menschen liebten dieses Buch! Noch viele hundert Jahre später behaupteten die französischen Revolutionäre, dass der eigentliche Keim der Revolution aus dem Mirabilis liber stammte. Und am Rande will ich auch noch erwähnen, dass das Mirabilis liber vorhergesehen hat, dass die Araber in Europa einwandern. Aber sehr treffsicher war diese Schrift nie, das kann man wirklich nicht sagen – schließlich hat sie auch die Auflösung der katholischen Kirche vorhergesagt, die Ankunft des Antichristen und den Untergang der Erde. Vor fünfhundert Jahren …«
II
Wir saßen lange da und blätterten auf der Suche nach irgendwelchen Spuren durch das Mirabilis liber , aber ohne Erfolg. Um es vorsichtig auszudrücken. Ich fragte Piero Ficino nach dem Wort Blutregen , doch dieser Begriff sagte ihm nichts. Plötzlich machte sein Zeigefinger einen Satz über die aufgeschlagene Seite. Ich starrte auf die Stelle, auf die er tippte.
L’Arche d’alliance.
Die Bundeslade.
»Das Ganze ist ziemlich kryptisch«, sagte Piero Ficino. »Das ist ein Hinweis auf den Codex Amiatinus – die älteste existente Version der Bibel des heiligen Hieronymus. Vulgata. Sie wurde im 4. Jahrhundert aus dem Hebräischen und Griechischen ins Lateinische übersetzt und enthält Randbemerkungen, die bis heute kein Theologe oder Historiker erklären kann.«
»Was für Randbemerkungen?«
»Ich glaube, das ist im 2. Buch Mose, Kapitel 40, wo Mose über die Bundeslade schreibt.« Er holte eine alte Bibel hervor und schlug sie auf. »Genau wie ich gedacht habe!«, sagte er und zeigte mir die Stelle:
Und er nahm das Gesetz und legte es in die Lade und tat die Stangen an die Lade und setzte den Gnadenthron oben auf die Lade, brachte die Lade in die Wohnung und hängte den Vorhang auf und verhüllte so die Lade des Gesetzes, wie ihm der HERR geboten hatte. (…) Da bedeckte die Wolke die Stiftshütte und die Herrlichkeit des HERRN erfüllte die Wohnung. Und Mose konnte nicht in die Stiftshütte hineingehen, weil die Wolke darauf ruhte und die Herrlichkeit des HERRN die Wohnung erfüllte. Und immer, wenn die Wolke sich erhob von der Wohnung, brachen die Israeliten auf, solange ihre Wanderung währte. Wenn sich aber die Wolke nicht erhob, so zogen sie nicht weiter bis zu dem Tag, an dem sie sich erhob. Denn die Wolke des HERRN war bei Tage über der Wohnung, und bei Nacht ward sie voll Feuers vor den Augen des ganzen Hauses Israel, solange die Wanderung währte. 16
»An den Rand des Codex Amiatinus hat irgendjemand eine seltsame Bemerkung geschrieben. Aber da ich den Kodex natürlich nicht hierhabe« – er lachte leise –, »muss ich aus dem Gedächtnis zitieren. Der Hinweis ergibt wirklich keinen Sinn, und er wird von niemandem ernstgenommen. Wenn ich mich richtig erinnere, steht da: So sog auch Pythia – also das Orakel von Delphi – den göttlichen Odem des Herrn ein und erlangte die Gabe der Hellsichtigkeit .«
III
Ich zog den Zettel mit den Anagrammen aus der Innentasche meiner Jacke. Ein Strahlen ging über Piero Ficinos Gesicht. »Großer Gott! So etwas habe ich seit meiner Arbeit im Vatikan nicht mehr gesehen!«
Ich erklärte ihm das zugrundeliegende Prinzip und die Bedeutung der ersten zwei Anagramme. Aber das letzte – ϢϪϪϪϯϯϮϤϦϭϧ – war die größte Knacknuss.
»Können Sie damit etwas anfangen?«, fragte ich voller Hoffnung.
»Nicht direkt«, sagte Piero Ficino. »Aber wenn auch die letzte Chiffre ein Anagramm ist, kann das ja nicht so schwer sein. Sehen wir mal…«
ϢϪϪϪϯϯϮϤϦϭϧ
Das koptische Anagramm war komplizierter als die ersten zwei. Dass es Piero Ficino trotzdem gelang, den Code zu knacken, lag nicht nur an seiner Erfahrung mit Chiffren. Ebenso wichtig war die Tatsache, dass die vorangehenden Anagramme mehr als nur andeuteten, auf was dieses letzte Rätsel hinauslief.
»Also …«, murmelte er eifrig. Gebeugt über das Anagramm erinnerte er an einen Uhrmacher, der tief in seine Welt der Zahnrädchen versunken war.
In einem ersten Schritt ersetzte er die koptischen Zeichen durch lateinische. Aber die Zeichen korrespondierten nicht. Stattdessen folgten sie einer anscheinend willkürlichen – oder gut versteckten – Logik. Deshalb mussten wir eine ganze Weile suchen, um wirklich korrespondierende Zeichen zu finden, dann ging aber alles recht
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