Das Nostradamus-Testament: Thriller (German Edition)
der Uhr hing ein Gemälde von Cosimo de’ Medici in Rüstung. Vor dem Schreibtisch aus tiefrotem Mahagoni standen zwei Ledersessel.
Bernardo Caccini sah nicht aus wie ein skrupelloser Kidnapper und Mörder, das musste man ihm lassen. Er war ein distinguierter älterer Herr. Schulterlanges, graues Haar. Grauer Bart. Anzug. Schlips. Er hatte die Lesebrille auf die Nasenspitze geschoben und begutachtete ein altes Dokument, das er unter die Leselampe hielt. Als er uns in der Türöffnung bemerkte, rief er » Ah!« , senkte die Hand und schaute uns lächelnd über den Rand seiner Brille an.
»Frau Moretti. Herr Beltø. Willkommen!«
Der Revolver in meiner Jackentasche war bleischwer. Geölt und mit sechs Patronen geladen. Wir hatten ihn von einem Freund Angelicas geliehen. Meine Hand zitterte, als ich sie fester um den Griff schloss, den Revolver aus der Tasche zog und auf das Wappen auf dem roten Schlips vor Bernardo Caccinis Brustkorb zielte.
»Rühren Sie sich nicht!«, kommandierte ich mit unsicherer Stimme.
»Meine Güte …«
Ich machte drei, vier Schritte in das Büro hinein. Langsam, wachsam. Ich sah mich um. Der Raum war so groß, dass Bernardo Caccini ein ganzes Bataillon darin hätte verstecken können. Mönche. Dämonen. Man weiß nie, was in den Schatten lauert. Angelica folgte mir dicht auf den Fersen.
»Ich bin alleine«, versicherte Caccini.
Ich sah mich weiter um. Warf Cosimo de’ Medici einen Blick zu, den er erwiderte.
»Ich bitte Sie«, sagte Caccini mit sanfter, tiefer Stimme. »Legen Sie die Waffe weg, ich bin nicht gefährlich.«
Er lächelte. Furchtlos. Selbstbewusst.
Mich legte er damit nicht rein. »Sie scheinen nicht überrascht zu sein, uns zu sehen?«
Bernardo Caccini nahm die Lesebrille ab und schaute zur Wand, wo vier Monitore den Eingangsbereich der Bibliothek zeigten. Er hatte uns kommen sehen. Und hatte nicht die Flucht ergriffen. Oder sich bewaffnet. Keine Verstärkung angefordert.
Angelica ging um den Schreibtisch herum und stellte sich direkt neben ihn.
»Wo sind Silvio und Lorenzo?«
»Frau Moretti, ich …«
Mit einer jähen Bewegung schnappte sie sich einen Brieföffner vom Schreibtisch und drückte ihm die Spitze an die Kehle.
»Wo?«
Bernardo Caccini wich nach hinten aus. Der Brieföffner ritzte die Haut unter dem Adamsapfel an, ein Blutstropfen presste hervor.
»Wo sind Silvio und Lorenzo?«
»Angelica«, sagte ich mit der beruhigendsten Stimme, die mir zur Verfügung stand, klang aber wahrscheinlich eher hysterisch. »Ich ziele mit einer Pistole auf den Mann, Sie brauchen ihm nicht noch was in den Hals zu stechen.«
Angelica atmete schnaufend durch die Nase. Verzweifelt. Ihre Augen waren weit aufgerissen, sie schien nicht ganz von dieser Welt.
»Ich will Ihnen ja gerne antworten, Frau Moretti«, sagte Caccini. »Aber nehmen Sie bitte den Brieföffner von meiner Kehle, das ist schmerzhaft und unangenehm.«
Sie kam wieder zu sich. Machte einen Schritt nach hinten. Blieb stehen und starrte ihn zornig an.
»Revolver!«, berichtigte Caccini mich. »Keine Pistole, ein Revolver. Ein Nagant, wenn ich mich nicht irre. 7,5 mm. Konstruiert und produziert von der belgischen Fabrique d’armes Émile et Léon Nagant. Prachtvolle Waffe. Wenn man ein solches Adjektiv verwenden will für etwas, das trotz allem nur eine Funktion hat: zu töten.«
»Wo«, sagte Angelica, »sind Silvio und Lorenzo?«
»Ja, wo?«, wiederholte ich. Und um besonderes Gewicht hinter das Fragezeichen zu legen, zog ich den Revolverhahn mit einem bedrohlichen Klicken nach hinten.
Caccini hob abwehrend die Hände. »Seien Sie bitte vorsichtig, der Abzug des Nagant mag störrisch wirken, ist aber sehr empfindlich.«
»Wo sind sie?«
»Ich weiß es nicht, Frau Moretti. Ich nehme ja mal an, dass Sie mich aufsuchen, weil es Ihnen gelungen ist, Nostradamus’ Anagramme zu entschlüsseln. Und jetzt verdächtigen Sie mich, an der Entführung von Professor Moretti und dem kleinen Silvio beteiligt zu sein. Und damit auch an den Morden an Regina Ferrari und Theophilus de Garencières. Falsch. Ich habe weder mit der Entführung noch mit den Morden etwas zu tun.«
»Ich glaube Ihnen nicht«, sagte Angelica.
»Denken Sie doch mal nach. Wie sollte Nostradamus fünfhundert Jahre im Voraus den Schuldigen eines Verbrechens benennen? Glauben Sie im Ernst« – er lachte glucksend –, »dass er hellseherische Fähigkeiten hatte?
»Alles weist auf Sie hin!«
»Wenn dem so wäre, Frau Moretti, warum habe
Weitere Kostenlose Bücher