Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Opfer

Titel: Das Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
Vom Netzwerk:
stellte weder weitere Fragen, noch fiel zwischen ihnen der Name Michael O’Connell. Und doch hatte Susan das Gefühl, genug gehört zu haben oder zumindest annähernd genug. Verwelkte Blumen.
     
    Draußen auf der Straße vor dem Hammer and Anvil nahm Ashley ihre Freundin lange und ausgiebig in die Arme. »Es war toll, dich zu sehen, Susie. Wir sollten uns öfter treffen.«
    »Wenn du die Sache mit dem Graduiertenprogramm in trocknen Tüchern hast, ruf mich an. Vielleicht sehen wir uns einfach regelmäßig, was weiß ich, einmal die Woche, dann kannst du meine Klagen über blöde Chefs und dämliche Geschäftsmodelle mit ein wenig künstlerischem Feingefühl besänftigen.«
    »Das wäre schön«, seufzte Ashley. Sie legte den Kopf zurück und starrte in den klaren, eisigen Himmel. Über das diffuse Lichtermeer der Straßen und Häuser breitete sich ein sternenübersätes blauschwarzes Firmament.
    »Eins noch, Ash«, setzte Susan an, während sie in ihrer Handtasche nach den Schlüsseln kramte. »Ich mache mir ein bisschen Sorgen wegen diesem Typen, der dir auf die Nerven geht …«
    »Michael? Michael Zum Kotzen …«, sagte Ashley mit einer wegwerfenden Handbewegung und in einem Ton, der sogar in ihren eigenen Ohren verlogen klang. »Den bin ich in wenigen Tagen los, Susie. Typen wie der brauchen ein klares, großes Nein, dann ziehen sie winselnd ab und jammern ein paar Tage, bis sie mit ihren Saufkumpeln in irgendeine Sportler-Bar gehen und sich darauf verständigen, dass sämtliche Frauen Schlampen sind, und das war’s dann auch.«
    »Ich hoffe, dass du recht behältst. Trotzdem, ich wäre eine lausige Freundin, wenn ich dir nicht anbieten würde, dass du mich jederzeit anrufen kannst. Tag und Nacht. Wenn dieser Typ nicht von der Bildfläche verschwindet.«
    »Danke, Susie. Weiß ich zu schätzen. Aber keine Sorge.«
    »Ach ja, du erinnerst dich doch wohl noch, dass ich ein Naturtalent darin bin, mir Sorgen zu machen.«
    Sie lachten beide, umarmten sich noch einmal, und mit einem Lächeln auf den Lippen drehte Ashley sich um und schlenderte durch das streifige Licht, das die Neonlettern über den Restaurants und Geschäften aufs Pflaster warfen. Susan Fletcher sah ihr eine Weile nach, bevor sie die entgegengesetzte Richtung einschlug. Sie wurde nie ganz schlau aus Ashley. Sie verband auf mysteriöse Weise Kultiviertheit mit Naivität. Kein Wunder, dass die Jungs sich zu ihr hingezogen fühlten, doch im Grunde, vermutete Susan, war sie isoliert und schwer zu erreichen. Selbst die Art, wie sie ging, indem sie schwerelos in die Schatten tauchte, schien nicht von dieser Welt. Susan sog die frostige Nachtluft ein. Es war ihr unangenehm, ihrer Freundin nicht zu beichten, dass Scott hinter dem Treffen steckte und ihr Anruf am frühen Abend nicht zufällig kam. Sie trat von einem Fuß auf den anderen und fühlte sich nicht wohl bei demGedanken, ihrer Freundin gegenüber nicht richtig ehrlich gewesen zu sein und für deren Vater nicht allzu viel herausgefunden zu haben. Michael Zum Kotzen, dachte sie. Und verwelkte Blumen.
    Entweder war es völlig harmlos oder aber wirklich beängstigend. Susan wusste nicht, was von beidem. Ebenso wenig war sie sich darüber im Klaren, für welche dieser diametral entgegengesetzten Versionen sie sich gegenüber Scott Freeman entscheiden sollte.
    Sie schnaubte einmal laut vernehmlich, um ihrer Unzufriedenheit in beiderlei Hinsicht Luft zu machen, und begab sich zügig auf den Weg zum Parkhaus anderthalb Häuserblocks weiter. Sie hatte die Schlüssel in der Hand und die Finger an der Tränengasdose, die am Schlüsselbund hing. Susan fürchtete sich vor wenig, wusste aber auch, dass Vorsicht das Leben verlängerte. Sie wünschte sich, sie hätte vernünftigere Schuhe angezogen. Sie hörte ihre Schritte auf dem Pflaster widerhallen, und obwohl sie sich mit den Geräuschen von der nahe gelegenen Straße vermengten, fühlte sie sich in diesem Moment so verloren, als wäre sie der letzte Fußgänger, der in dieser Nacht noch auf dieser Straße, im Zentrum von Boston oder gar der ganzen Stadt auf den Beinen war. Sie ging langsamer und sah sich um. Sie konnte niemanden auf dem Bürgersteig entdecken. Sie versuchte, in ein nahe gelegenes Restaurant zu schauen, doch vor den Fenstern waren die Gardinen zugezogen. Sie blieb stehen und wirbelte blitzartig herum.
    Niemand. Die Straße hinter ihr war menschenleer.
    Susan schüttelte den Kopf. Sie sagte sich, dass die Unterhaltung über diesen

Weitere Kostenlose Bücher