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Das Opfer

Das Opfer

Titel: Das Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vadim Panov
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»Sie … also, ich meine …«
    »Sie wollen wissen, warum Sie hier sind?«
    »Ja«, seufzte Serebrjanz.
    »Weil ich mich mit Ihnen unterhalten möchte.«
    Der Professor rang sich ein gequältes Lächeln ab: »Und worüber?«
    »Über Ihre Arbeit, Lew Moisejewitsch.« Der Mann nahm ein Blatt Papier vom Tisch, und der penetrante Blick seiner farblosen Augen nagelte Serebrjanz auf seinem Stuhl förmlich fest. »Über das, womit Sie sich in den letzten Jahren beschäftigt haben.«
    Der Professor war so verdattert, dass es ihm die Sprache verschlug.
    »Wundert Sie das?«
    »Ich … ähm, ich hätte nicht zu träumen gewagt, dass sich jemand, gerade in unserer Zeit, für meine Forschungen interessieren könnte und …«
    »Ihre Arbeit fällt in der Tat aus dem Rahmen«, pflichtete der Mann bei, »und erscheint auf den ersten Blick ein wenig – nun, sagen wir einmal: absonderlich. Aus diesem Grund interessieren sich seriöse Investoren auch nicht dafür. Ich dagegen nehme Ihre Forschungen durchaus ernst. Sehr ernst sogar, Lew Moisejewitsch. Und ich könnte mir durchaus vorstellen, mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Allerdings unter der Bedingung, dass Sie mir die Ergebnisse ihrer Arbeit detailliert zur Kenntnis bringen.«
    Die Augen des Professors wurden feucht.
    »Ich kann das gar nicht glauben.«
    »Sollten Sie aber«, versetzte der Mann.
    »Jaja, natürlich.« Serebrjanz nahm sich zusammen. »Ich wollte sagen, dass ich einfach kaum fassen kann, dass ausgerechnet heute, an einem solchen Tag … Heute scheint mein Glückstag zu sein. Eins kommt zum anderen. «
    »Eins kommt zum anderen? Wie meinen Sie das?«
    »Wissen Sie«, flüsterte der Professor verschwörerisch und beugte sich vor, »ich habe seit heute den ersten unumstößlichen Beweis für meine Theorie. Den ersten! Ich habe ihn selbst gesehen!«
    »Was haben Sie gesehen?«
    »Ein Wandelwesen! Ein echtes Wandelwesen!«
    Der Mann nahm seine Brille ab und lehnte sich zurück.
    »Ich möchte, dass Sie mir davon berichten, Lew Moisejewitsch, und zwar in aller Ausführlichkeit. Beginnen Sie, wir haben nicht viel Zeit.«
     
     
     
    Zitadelle, Hauptquartier des Herrscherhauses Naw
Moskau, Leningradski-Prospekt
Samstag, 16. September, 13:15 Uhr
     
     
    Vom hohen Fenster des großen, hellen Raums hatte man einen hervorragenden Ausblick auf eine der belebtesten Moskauer Kreuzungen, an der sich der Leningradski-Prospekt in die Wolokolamskoje und die Leningrandskoje Chaussee teilt. In Wellenbewegungen wälzten sich zähe Blechströme über die Straßen, verdichteten sich bei Rot und entzerrten sich wieder bei Grün. Falsch abbiegende, wendende oder rücksichtslos die Spur wechselnde Fahrzeuge produzierten regelmäßig Staus und sorgten für eine explosive Stimmung bei den Automobilisten. Es wurde gehupt und geflucht. Der ganz normale Wahnsinn an einem gewöhnlichen Werktag.
    Domingo konnte stundenlang auf diesen wimmelnden Ameisenhaufen hinunterschauen. Nicht etwa aus Langeweile, sondern deshalb, weil es für einen Vorhersageprofi kaum eine größere Herausforderung gab als das chaotische Verhalten der undisziplinierten Moskauer Autofahrer. Domingo war einer der sogenannten Vegasianer, des von Santiago beschäftigten, legendären Analytikerduos, das seinerzeit durch einen astronomisch hohen Gewinn in einem Kasino in Las Vegas Furore gemacht hatte. Domingo trainierte, indem er das Verkehrsgeschehen immer um einen Schritt vorwegnahm.
    »Und jetzt abbiegen.«
    Der 9er Lada bog links ab.
    »Zzz, wer wird den bei Rot drüberfahren?!«
    Der Raser im Volvo, der von der Baltijskaja-Straße kam, gab Gas, doch er schaffte es nicht mehr bei Grün über die Kreuzung. Die Meute in der Wolokolamskoje Chaussee beschleunigte bereits, und der Volvofahrer musste in die Eisen steigen.
    »Nun sieh dir diesen Verkehrsrowdy an, nimmt einfach dem Bus die Vorfahrt.«
    »Hör doch mit dem Unsinn auf, Domingo!«, schimpfte sein Partner. »Vielleicht könntest du mir zur Abwechslung einmal helfen?«
    Der Prognosespezialist drehte sich um.
    Im Unterschied zu vielen anderen Räumen der Zitadelle war das Büro der Vegasianer stets lichtdurchflutet. Santiagos Analytiker residierten im obersten Geschoss eines der beiden Türme des Hauptquartiers des Dunklen Hofs. Die Räumlichkeiten erstreckten sich über zwei Halbetagen und boten im Prinzip viel Platz. Allerdings hatten die beiden schlampigen Genies es geschafft, ihren Arbeitsplatz innerhalb von drei Jahren in eine veritable Müllhalde zu verwandeln, in

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