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Das Opfer

Das Opfer

Titel: Das Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vadim Panov
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den Kopf.
    »Fresse halten, Alterchen, sonst Rübe ab«, beschied der Quadratschädel auf dem Beifahrersitz, der offenbar der Anführer der Bande war.
    Um den Worten seines Bosses Nachdruck zu verleihen, versetzte einer der Kleiderschränke Serebrjanz einen leichten Ellenbogenstoß in die Rippen.
    »Aber ich habe doch nichts getan …«
    Der zweite Schlag geriet wesentlich heftiger und traf die Leber des Professors. Der arme Lew Moisejewitsch rang um Luft und zog es vor, weitere Proteste zu unterlassen. Selbst ein Schöngeist wie er konnte sich mit einer simplen statistischen Reihe ausrechnen, was passiert wäre, wenn er noch einmal den Mund aufgemacht hätte.
    Die Brutalität seiner Entführer versetzte Serebrjanz in einen Zustand im Grenzbereich zwischen panischer Angst und Apathie. Er versuchte nicht einmal zu rekapitulieren, was er in letzter Zeit getan hatte und wem er damit in die Quere gekommen sein könnte. Wie gelähmt saß er zwischen den betonharten Schultern seiner Entführer und ergab sich seinem Schicksal.
    Die Fahrt dauerte nicht lange und endete im Maly Afanasjewski Pereulok. Bei dem Gebäude, das der schwarze BMW ansteuerte, handelte es sich um einen luxussanierten Altbau, der nun ein Business Center beherbergte und über eine Tiefgarage verfügte. Dieser Umstand war äußerst praktisch, da des Öfteren Gäste mit Säcken über dem Kopf hierhergebracht wurden.
    Wenn man sie durch das prachtvolle Hauptportal ins Gebäude geleitet hätte, wäre dies dem Ruf der ansässigen Firmen womöglich abträglich gewesen.
    Serebrjanz wurde in einen Aufzug gestoßen, einige Etagen nach oben befördert und einen endlosen Gang entlanggeführt, der mit dickem Teppichboden ausgelegt war. Ein schleifendes Geräusch verriet, dass sich eine Tür öffnete.
    »Ist er im Büro?«, fragte die Stimme des Anführers.
    »Ich gebe ihm Bescheid«, erwiderte eine Frau, offenbar die Sekretärin, und betätigte einen Schalter. »Sie sind da.«
    »In drei Minuten.«
    »Wartet so lange.«
    »Okay.« Der Quadratschädel drehte den Professor herum und drückte ihn mit dem Rücken gegen die Wand. »Schön stillstehen!«
    Aus der Richtung der Sekretärin ertönte das Geklapper einer Computertastatur. Die Frau widmete sich wieder ihrer Arbeit.
    »Könntest du vielleicht damit aufhören, die beleidigte Leberwurst zu spielen?«, erkundigte sich der Anführer. »Ich hatte eben ein bisschen zu viel getrunken gestern …«
    Das Geklapper der Tastatur wurde lauter – fast frenetisch. Der Mann seufzte und schwieg. Serebrjanz zitterte.
    Nach quälend langen Minuten öffnete sich die Tür.
    »Wir haben uns also verstanden: Den Quartalsbericht akzeptiere ich so nicht«, verfügte eine gebieterische Männerstimme, offenbar der Chef, der einen Besucher hinausbegleitete. »Du musst ihn nochmal neu machen.«
    »Und wie soll das gehen? Die Zahlen stimmen doch.«
    »Bin ich der Buchhalter oder du?«
    »Ich verdiene das Geld doch nicht, ich zähle es nur.«
    »Deinen Berechnungen nach könnte man tatsächlich meinen, ich müsste mir mein Geld verdienen«, amüsierte sich der Chef. »Morgen früh kommst du wieder und bringst anständige Ergebnisse mit.«
    »Ich werde mein Bestes tun.«
    »Sehr gut.« Die gebieterische Stimme blieb direkt vor Serebrjanz stehen. »Ist er das?«
    »Ja.«
    Lew Moisejewitsch spürte, dass er von oben bis unten taxiert wurde.
    »Hm, ja. Genau so habe ich ihn mir vorgestellt. Ins Büro mit ihm.«
    Man führte den Professor einige Schritte in den Raum, pflanzte ihn auf einen Stuhl und zog ihm den Sack vom Kopf. Hinter ihm schloss sich die Tür.
    Geblendet vom grellen Licht blinzelte Lew Moisejewitsch und sah sich um. Er befand sich in einem geräumigen Büro. Das Fenster, das sich über die gesamte Länge der linken Wand erstreckte, wurde von einer Jalousie abgedeckt. Einige abstrakte Gemälde an den Wänden, eine Minibar und ein edles Schachtischchen mit einer aufgestellten Partie schufen eine stilvolle Atmosphäre. Unmittelbar vor dem Professor stand ein moderner Schreibtisch – kein Ungetüm aus Massivholz, sondern eine filigrane Konstruktion aus Metallrohren, Kunststoff und Glas. Dahinter saß in einem wuchtigen Chefsessel ein schmächtiger, ungefähr dreißigjähriger Mann mit schütterem, zurückgegeltem Haar und eher nichtssagendem Gesichtsausdruck.
    »Ihre Brille liegt auf dem Tisch, Lew Moisejewitsch.«
    »Danke.« Mit zittrigen Händen setzte sich der Professor die Brille auf und sah den Eigner des Büros hündisch an.

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