Das Opfer
telefoniert. Serebrjanz hat sich heute Mittag mit Edik getroffen. In dessen Büro.«
»Oha!« Diese Nachricht schlug bei Andrej ein wie eine Bombe.
»Du wusstest nicht, dass sie sich kennen?«
»Ich hatte keinen Schimmer!« Kornilow versank förmlich in seinem Stuhl. »Was könnten die beiden miteinander zu tun haben?«
»Lass uns zusammen darüber nachdenken«, schlug Schustow vor.
Andrej schüttelte den Kopf: »Nicht jetzt.«
»Wie du meinst«, gab Sergej ein wenig beleidigt zurück. »Übrigens, erinnerst du dich, wir hatten dir doch von dieser Tussi im Café Verona erzählt, und du wolltest wissen, ob sie zu Ediks Umfeld gehört.«
»Natürlich erinnere ich mich daran. Und?«
»Die beiden kennen sich tatsächlich.«
»Was hast du über diese Frau erfahren?«
»Leider sehr wenig. Sie ist erst vor kurzem in Ediks Dunstkreis aufgetaucht, aber es sieht so aus, als hätte sie großen Einfluss auf ihn. Sie benimmt sich auffallend ungezwungen und souverän in seiner Gegenwart.«
»Wie schätzen Ediks Leute sie ein?«
»Mein Informant hat gesagt, dass im Grunde niemand etwas über sie weiß, aber fragen traut sich auch keiner. Sie redet angeblich nur mit Edik und Chamberlain. «
»Die tut aber wichtig.«
»Das kannst du laut sagen.«
»Wie heißt sie?«
»Kara.«
»Einfach nur Kara?«
»Einfach nur Kara.«
»Und wo wohnt einfach nur Kara?«
»Keine Ahnung«, seufzte Sergej. »Soll ich versuchen, es herauszufinden?«
»Lass mal, ich weiß noch nicht«, bremste der Major. »Ich muss mir das alles erst mal durch den Kopf gehen lassen.«
Schustow stand auf, grummelte etwas Unverständliches vor sich hin und verzog sich zu seinem Schreibtisch. Kornilow sah dem breiten Rücken seines Stellvertreters nach und zündete sich die dritte Zigarette hintereinander an. Nun war genau das eingetreten, was er befürchtet hatte, seit er von der Verborgenen Stadt erfahren hatte: Eine Hexe – und offenbar keine von der harmlosen Sorte – steckte unter einer Decke mit den Gangstern.
Moskau, Alter Arbat
Samstag, 16. September, 14:14 Uhr
Nachdem sie Genbeks Buchhandlung verlassen hatte, trottete Larissa noch lange ziellos über den Arbat und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Die jüngsten Ereignisse waren keineswegs spurlos an der jungen Frau vorübergegangen.
Äußerlich schien alles wie immer. Auf der berühmten Moskauer Flaniermeile herrschte das übliche Gedränge: Porträtkünstler mit ihren Staffeleien, Fotografen mit Affen oder Schlangen und Souvenirhändler hinter Bergen von Sowjetplunder und Matrjoschkas spähten mit geschultem Blick nach potenziellen Kunden aus. Dazwischen kämpften Hotdog-Verkäufer einen aussichtslosen Kampf gegen die Konkurrenz des am Ende der Straße errichteten McDonalds. An einer Litfaßsäule warben bunte Plakate für ein Konzert alternder Rockmusiker, die sich bei ihren westlichen Kollegen die Inspiration für ein neues Album geholt hatten. Wie zuvor tauchte die warme Herbstsonne das muntere Treiben auf dem Arbat in ein freundliches Licht. Die Welt, die Larissa umgab, hatte sich nicht verändert.
Dennoch war für die junge Frau in diesem Moment nichts mehr so wie zuvor, denn sie hatte soeben eine Entdeckung gemacht, die ihr Weltbild dramatisch veränderte: Magie gab es tatsächlich! Und sie, Larissa, war weder aus der Art geschlagen noch verrückt, sondern eine Zauberin!
An der Zoi-Mauer spielten Mexikaner auf. In ihren ultrabreiten Sombreros und roten Ponchos gaben sie eine temperamentvolle Version von »La Bamba« zum Besten. Larissa blieb stehen.
Ich bin eine Zauberin! Eine Hexe! Im Moment noch eine Anfängerin – gewiss, doch das würde sich ändern.
Für die Zukunft hatte die junge Frau ein klares Bild von sich vor Augen. Sie sah sich als souveräne, allmächtige und allwissende Zauberin, die den Lauf der Dinge nach ihrem Gutdünken verändert.
Larissa warf ein paar Münzen in den geöffneten Gitarrenkoffer und ging in Richtung des Restaurants Praga weiter, genauer gesagt in Richtung der Metro-Station Arbatskaja . Sie hatte beschlossen, unverzüglich zu der Zaubereischule zu fahren, deren Adresse ihr der alte Genbek gegeben hatte.
KAPITEL ZEHN
»Glatzenalarm im Gorki-Park! Am gestrigen Abend ereignete sich in einer der Alleen des Parks eine heftige Schlägerei. Eine herbeigeeilte Polizeistreife nahm sechs junge Männer fest, die nach unseren Informationen der Skinhead-Szene angehören …«
DIE STREIFE
»Mordanschlag auf
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