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Das Orakel der Seherin

Das Orakel der Seherin

Titel: Das Orakel der Seherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Pike
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seltsam.«
    »Ich kann dir deinen Wunsch erfüllen, Mutter. Aber meine Liste der Leute, die leben dürfen oder sterben müssen, unterscheidet sich grundlegend von deiner. Dein geliebter Ray war ein Phantom, eine von dir gewünschte Illusion, ein Maya. Dein Wunsch, daß deine Tochter Lalita wiedergeboren werden möge, ist ebenfalls ein Maya für dich. Du weigerst dich, Menschen oder Dinge gehen zu lassen, gegebene Situationen zu akzeptieren. Deswegen hast du mich zur Tochter bekommen – zumindest ist es einer der Gründe für meine Geburt. Aber derjenige, der durch den Schleier des Maya sieht, kann den göttlichen Willen nicht ermessen. Der Schleier ist befleckt, und das Vollkommene ist ohne Fehler.
    Gleichermaßen kannst du auch mich nicht ermessen oder wirklich erkennen, obwohl ich deine Tochter bin.«
    Ich muß mich förmlich wachrütteln, um mich aus der Trance zu lösen, in die ihre sanfte, einschmeichelnde Stimme mich fallen läßt.
    Aber meine Erinnerung an frühere Ereignisse sagt mir, daß sie mich auch jetzt nur benutzt.
    »War es Gottes Wille, daß du Eric zu Tode gequält hast?« frage ich.
    Sie antwortet nüchtern: »Das, was ich Eric angetan habe, hat nur dazu gedient, von dir den Aufenthaltsort des Kindes zu erfahren. – Abgesehen davon ging es ihm ohnehin nicht gut, und er wäre sowieso gestorben. Seine Wiedergeburt wird ihn entschädigen.«
    Ich schnaube. »Natürlich ging es ihm nicht gut! Schließlich hast du Tag und Nacht sein Blut getrunken! Und dann hast du ihn unter entsetzlichen Qualen sterben lassen.«
    »Das stimmt, mein Kleid war ganz blutbefleckt.« Sie lacht, »Auf Wiedersehen, Mutter. Denk nicht über das nach, was ich dir gesagt habe, es würde dich nur verwirren. Hab Vertrauen in deine geliebte Tochter! Vertrauen in mich ist das einzige, was dich vor noch größeren Schmerzen bewahren kann.«
    Damit hängt sie auf.
    6.
    KAPITEL
    Ich sitze am Küchentisch, als Seymour zum Frühstück herunterkommt. Ich habe ihm Eier mit Schinken und Toast zubereitet, ein Gericht, das er liebt – und das den Cholesterinspiegel rasant ansteigen läßt. Seymour hat geduscht und trägt einen braunen Morgenmantel. Während ich ihm handgepreßten Orangensaft einschenke, lächelt er mich an.
    »Du wirst eines Tages eine tolle Ehefrau werden«, sagt er.
    »Danke. Und du wirst eines Tages dafür sorgen, daß ein Mädchen einen Nervenzusammenbruch bekommt.«
    »Mach dir meinetwegen nicht so viele Sorgen. Ich war gestern abend im Kino. Und du?« Er greift nach der Gabel und nimmt einen Bissen von den Eiern. »Hast du mir die Morgenzeitung mitgebracht? Du weißt, daß ich mein Frühstück nicht genießen kann, wenn ich nicht gleichzeitig erfahre, was draußen in der Welt passiert.«
    » Ich bin die Morgenzeitung«, entgegne ich und meine es ernst.
    Er buttert seinen Toast. »Was ist geschehen? Hat Suzama vorausgesagt, daß ich der nächste Messias sein werde?«
    »Die Schrift ist authentisch.«
    »Du hast sie gesehen?«
    »Einen Teil davon. Suzama hat sie geschrieben.«
    Er legt sein Buttermesser nieder. »Aber wie kommt es, daß du sie niemals daran hast arbeiten sehen?«
    »Ich war die meiste Zeit bei ihr, aber eben nicht ständig. Sie hatte wiederholt Gelegenheit, die Schrift zu verfassen.«
    »Aber sie hat nicht mit dir darüber gesprochen. Und das, obwohl du ihre beste Freundin warst?«
    »Nein, sie hat nicht mit mir darüber gesprochen. Aber sie ging manchmal ihre eigenen Wege. Ich bezweifele, daß sie überhaupt jemandem von dieser Schrift erzählt hat. Aber sie hat sie an einem Ort hinterlegt, wo man sie finden würde –
    zu einem Zeitpunkt, an dem sie selbst es wünschte.«
    Seymour überlegt. »Wie hast du Dr. Seter dazu gebracht, sie dir zu zeigen?«
    Er stellt diese Frage nicht ohne Hintergedanken.
    »Willst du wissen, ob ich mit seinem Sohn geschlafen habe?«
    »Mir ist aufgefallen, daß du mit ihm geredet hast, nachdem du von mir wolltest, daß ich verschwinde.«
    »Ich wollte nicht, daß du verschwindest, ich wollte, daß du dich irgendwo amüsieren gehst. – Übrigens habe ich Vater und Sohn gleichermaßen davon überzeugt, daß ich auch eine solche Schrift besitze. Sie wollen sie so bald wie möglich sehen.«
    »Großartig. Wir können sie heute nachmittag herstellen. Wir machen Papyrus, lassen ihn in der Sonne altern, und dann gibst du mir ein paar Nachhilfestunden im Hieroglyphen schreiben.« Er blickt mich an. »Es war keine besonders geschickte Lüge.«
    »Sie hat ihren Zweck erfüllt. Auf

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