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Das Orakel der Seherin

Das Orakel der Seherin

Titel: Das Orakel der Seherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Pike
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sie besonders anziehend und nicht abstoßend wirken ließen. Sie wirkte, als habe sie das Leiden von tausend Leben hinter sich und habe darüber zu einer besonderen Gelassenheit gefunden. Sie wirkte wie eine Heilige und doch sinnlich. Ihr Mund war so wunderschön geformt, daß ihr bloßes Lächeln wie ein Kuß erschien. Ich liebte sie von dem Augenblick an, als ich sie das erstemal sah. Bis dahin hatte ich nie jemanden nach seinem bloßen Anblick geliebt, bis auf Krishna selbst.
    Sie bot mir an, aus ihrem Gefäß zu trinken.
    »Ich heiße Suzama«, sagte sie, »und wer bist du?«
    »Sita«, antwortete ich mit meinem richtigen Namen. Ich trank durstig das dargebotene Wasser und spritzte auch ein wenig auf mein staubiges, erhitztes Gesicht. Der Nil war klar und kühl in dieser Zeit. Ich weiß nicht, wie er sich so sehr verändern konnte. »Ich bin gerade angekommen.«
    Aber Suzama schüttelte den Kopf. »Du warst schon immer hier.« Dann legte sie die Hand auf ihre Brust, und ich sah Tränen in ihren Augen. »Ich kenne dich, Sita. Du hast große Macht.«
    So erfuhr ich zum erstenmal von ihren Fähigkeiten. Suzama wußte Dinge, und sie brauchte für dieses Wissen keine äußeren Zeichen. Später kam ich zu der Überzeugung, daß die ganze Welt nur ein Traum für sie war. Doch merkwürdigerweise verursachten ihr die Vorgänge auf dieser Welt trotzdem große Schmerzen. Ihre tiefsten Empfindungen waren mir ein Rätsel, denn vieles war ihr gleichzeitig egal und berührte sie doch zutiefst. Als sie meine Hand nahm und mich in die Richtung führte, in der ihre Familie lebte, hatte ich ein Gefühl, als ob ein Engel mich berühre. Noch wußte ich nicht, daß wir uns während der folgenden drei Jahre nur selten aus den Augen verlieren würden.
    Ihre mystische Mission hatte noch nicht begonnen, doch bald würde sie mit einem Donnerschlag beginnen. Und ich würde der Blitz sein.
    5.
    KAPITEL
    Am nächsten Morgen bin ich erst seit wenigen Sekunden in meinem exklusiven und luxuriös ausgestatteten Heim in Pacific Palisades, als das Telefon klingelt.
    Oben schläft Seymour und schnarcht geräuschvoll, und obwohl mich seine Anwesenheit beruhigt, läßt mich der Anruf doch zusammenzucken. Wir haben eine Geheimnummer; wer also kann uns anrufen? Dazu noch so früh am Morgen?
    Ich nehme den Hörer ab und halte ihn ans Ohr.
    »Hallo?«
    Zuerst kommt keine Antwort. Und dann höre ich ihre sanfte Stimme.
    »Ich bin’s«, sagt sie.
    Das Blut gefriert in meinen Adern. »Kalika.«
    »Ja, Mutter, du erinnerst dich also an mich. Das ist gut. Wie geht es dir?«
    »Gut. Und dir?«
    »Wunderbar. Ich habe viel zu tun.«
    »Du hast ihn noch nicht gefunden«, sage ich. »Und du wirst ihn auch nicht finden.«
    Kalikas Stimme klingt, als ob sie lächelt. »Du irrst dich. Ich habe ihn noch nicht gefunden, aber ich werde es. Und du wirst mir dabei helfen.«
    »Das denke ich kaum.«
    »Du denkst zuviel. Und deine Gedanken blenden dich. Ich sagte dir doch, daß ich dem Kind nichts tun werde. Ich bin deine Tochter, du solltest mir also glauben. Ich glaube dir selbst dann, wenn ich spüre, daß du lügst.«
    »Wo bist du?« frage ich.
    »Nicht weit von dir entfernt. Ich befinde mich an einem hochliegenden Punkt und habe eine großartige Aussicht. Sie würde auch dir gefallen.«
    »Wie bist du an meine Nummer gekommen?«
    »Das war nicht schwierig.« Sie verstummt. »Ich habe dich gestern auf dieser langweiligen Versammlung gesehen. Und ich habe gesehen, wie du dich mit den Leuten unterhalten hast.«
    Mein Blut scheint noch kälter zu werden, falls das überhaupt möglich ist. Ich bringe Leute in Gefahr, indem ich nur mit ihnen rede – unbescholtene Leute, die nichts mit mir zu tun haben. Es ist einfach nicht fair, daß ich jemanden liebe, der mir solche Schmerzen zufügt. Denn obwohl mich Kalikas Anruf entsetzt, bin ich doch gleichzeitig dankbar dafür. So sind Mütter eben: Ihre Kinder bedeuten ihnen alles.
    »Diese Leute gehen dich nichts an«, erkläre ich barsch.
    »Der Doktor ist wirklich ein netter Mann. Aber ich habe dich auch mit seinem Sohn sprechen sehen. Hübscher Bursche, nicht wahr? – Oder ist es unpassend, daß eine Tochter die Bekanntschaften ihrer Mutter kommentiert?«
    »Nein.«
    Sie lacht sanft. »Nichts ist so, wie es scheint. Schwarz wirkt wie weiß, wenn Licht dich blendet. Und Weiß verliert seinen Glanz, sobald die Dunkelheit hereinbricht. – Warum vertraust du ihnen statt mir?«
    »Weil du eine kaltblütige Mörderin bist.«
    »Oh,

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