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Das Orakel der Seherin

Das Orakel der Seherin

Titel: Das Orakel der Seherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Pike
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wir haben alle unsere kleinen Fehler. Seit wann bist du so kleinlich?«
    Meine Stimme klingt bitter. »Das weißt du genau.«
    »Vermutlich, ja. Wie geht’s Seymour?«
    »Er ist tot.«
    »Und bei der Vorlesung gestern abend saß sein Geist neben dir?«
    Ich seufze. »Es geht ihm gut, trotz all deiner gegenteiligen Bemühungen.«
    »So, so. Du weißt, daß ich gnädig sein kann. Schließlich bin ich Mutter, genau wie du.«
    »Du hast Paula angerufen. Du hast meine Stimme imitiert.«
    »Das stimmt«, gesteht Kalika. »Übrigens wüßte Suzama, wie ein Treffen mit Paula zustande zu bringen wäre. Vielleicht hat sie es sogar in ihrem Buch beschrieben. Du kanntest sie, nicht wahr?«
    Ich zögere. »Ja.«
    »Und du magst sie immer noch. Aber bis heute weißt du nicht, was ihrem Leben ein Ende gesetzt hat, nicht wahr?«
    »Sie starb durch ein großes Erdbeben, zusammen mit den Setianen. Ihr Tod birgt kein Geheimnis für mich.«
    »Aber wer waren diese Setiane? Du hast ihnen in die Augen geblickt und sie doch nicht erkannt.«
    »Ich habe schließlich begriffen, daß sie schlecht waren.«
    Ihre Stimme klingt spöttisch. »Aber für Suzama war es zu spät.«
    »Warum sprichst du über sie? Oder ist es nur dein alter Trick? Versuchst du, dein Gegenüber zu verwirren, um deine wahren Absichten zu tarnen? Wenn du zu mir kommen willst, dann tu es. Komm jetzt gleich, denn ich bin deine ewigen Spielchen leid. Du machst mir keine angst.«
    Kalika läßt sich Zeit mit der Antwort. Während ich auf ihre nächsten Worte warte, höre ich genau hin und erkenne das Plätschern von Wasser. Meine Tochter muß sich direkt an einem offenen Fenster befinden, möglicherweise auch auf einem Balkon. In ihrer unmittelbaren Nähe gibt es einen Swimmingpool. Er befindet sich den Geräuschen nach ein gutes Stück unter ihr.
    Ich höre die Stimmen vieler Menschen, die sich darin tummeln; Kinder, die Ball spielen; ich höre Lachen und Rufen; und ich höre, wie einige Sportler ihre täglichen Schwimmübungen praktizieren. Ich höre, wie letztere am Wasserbecken ankommen und sich für die nächste Bahn kraftvoll vom Rand abstoßen. Es müssen zahlreiche Schwimmer sein – und daher ein großer Pool.
    Es gibt nicht sehr viele so großer Pools in der Umgebung von Los Angeles.
    Schließlich spricht Kalika.
    »Ich will dir nichts tun, Mutter. Ich bin wegen des Kindes hier. Aber falls du dich mir in den Weg stellst, kann ich nicht garantieren, daß du und dein geliebter Seymour überleben werden.« Und dann fügt sie hinzu: »Betrachte es als bloße Äußerung, nicht als Drohung.«
    »Vielen Dank, jetzt geht es mir schon viel besser. Warum rufst du an?«
    »Um deine Stimme zu hören. Aus irgendeinem Grund hat deine Stimme eine besondere Bedeutung für mich.«
    »Das kann ich kaum glauben«, entgegne ich.
    »Aber es stimmt.«
    »Und was ist der zweite Grund für deinen Anruf?«
    »Da ich kein Spielverderber bin, lasse ich dich ein wenig rätseln. – Gibt es irgend etwas, das ich für dich tun könnte, Mutter?«
    »Laß Dr. Seter und seine Leute in Ruhe. Und laß das Kind in Ruhe!«
    Kalika zögert. »Ich fürchte, das kann ich nicht. Wünschst du dir noch etwas anderes?«
    Ich lasse mich erschöpft gegen die Wand sinken. »Du weißt, Kalika, daß ich in der Nacht deiner Geburt sehr gelitten habe. Die Geburt selbst war qualvoll, und ich habe viel Blut verloren. Ich bin fast gestorben, und als ich dich schließlich in den Armen hielt und in deine Augen sah, überkam mich eine große Angst. Ich wußte schon damals, daß du keineswegs ›normal‹ warst, nicht einmal nach den Maßstäben eines Vampirs. Doch trotzdem war ein Teil von mir glücklich, so glücklich wie noch nie zuvor im Leben. Das habe ich erst viel später begriffen. Ich hatte mir eine Tochter gewünscht, und nun war mein Wunsch in Erfüllung gegangen. Gott hatte dich mir geschenkt, und ich dankte ihm dafür.« Ich muß tief durchatmen. »Weißt du, was ich damit meine?«
    »Ja.«
    »Du bist, was du bist. Es liegt in deiner Natur zu töten. Und ich verstehe es, denn auch ich bin eine Mörderin. Aber im Lauf der Jahrhunderte habe ich gelernt, diesen Instinkt zu kontrollieren, und jetzt töte ich nur noch, wenn es absolut unvermeidlich ist. Du kannst lernen, das gleiche zu tun. Darum bitte ich dich. Nur darum.«
    Sie überlegt. Als sie schließlich spricht, klingt ihre Stimme sehr sanft. Es scheint fast, als komme sie aus meinem Kopf heraus. Und die Worte, die sie sagt, berühren mich

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