Das Orakel des Todes
widmen.“
„Wann geht es los?“, wollte er wissen. „Meine Zeit ist begrenzt.“
„Inzwischen sind fast alle da, die ich herbestellt hatte“, erwiderte ich. „Wir müssten also morgen beginnen können. Wenn alles gut geht, werden wir morgen auch fertig.“
Am nächsten Morgen hatte sich zur Eröffnung meines Gerichts eine gewaltige Menschenmenge versammelt. Ich verwende bewusst das Wort „Gericht“, auch wenn ich im Begriff war, etwas zu tun, das der überlieferten römischen Gerichtspraxis ganz und gar nicht entsprach. Wenn ich mehr Zeit und Leute zur Verfügung gehabt hätte, hätte ich vielleicht Juristen aus Rom hinzugezogen, um dem Verfahren einen etwas legitimeren Anstrich zu geben und sicherzustellen, dass die Präzedenzfälle berücksichtigt wurden, doch ich hatte weder Zeit noch Männer.
Einem römischen Praetor obliegt es nicht, die Anklage zu erheben. Er tritt weder als Ankläger noch als Verteidiger auf, ihm kommt der würdevolle Vorsitz der Verhandlung zu, er leitet die Auftritte der Anwälte und die Beratungen der Geschworenen. Er selber schaltet sich nur insofern ein, als er darauf achtet, dass die entsprechenden Formalitäten eingehalten werden und die Geschworenen korrekt zu ihrer Entscheidung gelangen. Zum Schluss verkündet er sein Urteil im Einklang mit den Entscheidungen der Geschworenen. Bei der bevorstehenden Verhandlung jedoch sollte es grundlegend anders zugehen.
Mein Podium war so aufgebaut, dass Pompeius und Cato neben mir saßen, wobei mein kurulischer Stuhl ein wenig höher stand als ihre Stühle. Pompeius hatte seinen eigenen kurulischen Stuhl, der prunkvoll mit Tigerfellen drapiert war. Cato, der kein Amt mit Imperium innehatte, saß auf einem gewöhnlichen Stuhl, der etwas niedriger stand als der von Pompeius. Meine sechs Liktoren und Pompeius' zwölf hatten sich vor dem Podium aufgebaut und boten einen imposanten Anblick. Die polierten Fasces glänzten in der Morgensonne. Um die Dramatik noch zu verstärken, hatte Pompeius zwei Trompeter bereitgestellt, deren gewaltige Cornua sich über ihren Schultern wanden.
Ich wies Hermes an, sich zu vergewissern, dass auch wirklich alle anwesend waren. Es ist peinlich, einen Zeugen aufzurufen, und dann feststellen zu müssen, dass er nicht da ist. Es bringt den Rhythmus des Verfahrens durcheinander und lässt denjenigen, der den Abwesenden aufgerufen hat, dumm dastehen. Nach einer Weile kehrte er zurück und berichtete, dass alle Einbestellten erschienen seien. Direkt vor meinem Stuhl stand ein Tisch, auf dem die Dokumente bereitlagen, auf die ich mich bei meiner Beweisführung stützen wollte.
Alles, was Rang und Namen hatte, hatte sich versammelt und bildete mit den üblichen Gaffern eine einzige, sensationslüsterne Menge. Die anwesenden Juristen unter ihnen musterten mich mit einem Gemisch aus Neugier, Furcht und Wut. Sie wussten, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmte.
Als der Spannungspegel für meinen Geschmack genau den richtigen Punkt erreicht hatte, gab ich den Bläsern ein Zeichen, woraufhin sie einen langen, ohrenbetäubenden Trompetenstoß ertönen ließen. Augenblicklich herrschte Schweigen. Ich erhob mich und raffte in der von allen guten Rhetoriklehrern empfohlenen Weise meine mit Purpursteifen besetzte Toga.
„Bürger!“, begann ich und hob meine Stimme auf eine für Reden unter freiem Himmel geeignete Lautstärke an. Einige fühlten sich geschmeichelt, denn längst nicht alle der Anwesenden waren Bürger. „Seit einiger Zeit wird diese Gegend von einer Serie heimtückischer Morde heimgesucht. Sämtliche Priester des Apollotempels“, bei diesen Worten deutete ich mit großer Geste auf den Tempel, „eine Sklavin dieses Tempels namens Hypatia, ein syrischer Händler aus Pompeji namens Elagabal, die wohlhabende Witwe Sabinilla und, wie ich erst kürzlich erfahren habe, der patrizische Patron des Tempels, Manius Pedarius - sie alle wurden umgebracht! „
Ein Murmeln ging durch die Menge. Von Elagabal hatten die meisten noch nie gehört, und dass auch der alte Pedarius einem Mord zum Opfer gefallen war, hörten alle zum ersten Mal. Sie hatten eine Menge zu tuscheln.
„Und nicht nur das“, fuhr ich fort, „ich selber wäre ebenfalls um ein Haar ermordet worden. Ein aus dem Hinterhalt abgeschossener Pfeil verfehlte mein Herz nur um Fingerbreite!“ Der Dramatik halber war das leicht Übertrieben, aber viel hatte wirklich nicht gefehlt.
„Bei diesen Morden“, brüllte ich dem versammelten Volk entgegen,
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