Das Orakel des Todes
„handelt es sich nur um die letzten und bekanntesten einer langen Reihe von Verbrechen, die seit vielen Jahren hier verübt wurden und den Bewohnern dieser Region verborgen geblieben sind! Haltet euch das vor Augen, Bürger! Besucher aus ganz Italia, aus Griechenland, sogar aus Ionien und von noch weiter her sind hierher gereist, um euer Orakel zu befragen. Sie sind hierher gekommen und nie wieder nach Hause zurückgekehrt! Sie wurden in eurer Mitte ermordet und ausgeraubt, ihre Leichen beseitigt, und ihr habt nichts davon mitbekommen! Ihr habt nicht den leisesten Schimmer gehabt, was direkt vor eurer Haustür vor sich ging! „
Die wichtigen Leute in den vorderen Reihen hörten das nicht gern. Sie lebten vom Geschäft mit den Durchreisenden. Falls sich herumspräche, dass der Ort eine Todesfalle war, mussten sie mit großen finanziellen Einbußen rechnen.
„Praetor!“, rief einer von ihnen. „Du stellst ungeheuerliche Behauptungen auf!“
„Schweig, wenn ich rede!“, wies ich ihn großspurig zu recht. „Ich habe massenhaft belastendes Beweismaterial zusammengetragen und kann zahlreiche Zeugen aufbieten, die die Richtigkeit meiner Vorwürfe bis ins letzte Detail bestätigen werden.“ Nach diesen Worten deutete ich auf die beiden Männer zu meinen Seiten. „Als Zeugen im Namen des römischen Senats werden zwei der ehrwürdigsten Senatoren unserer Tage die Verhandlung verfolgen: Gnaeus. Pompeius Magnus, der zur Zeit berühmteste Feldherr und Soldat der Welt, Prokonsul von Spanien und mit außerordentlichen Befugnissen ausgestatteter Aufseher der Getreideversorgung, und der noble Marcus Porcius Cato, ehemaliger Praetor und der unbestechlichste Amtsträger und Politiker, den Rom je hervorgebracht hat!“ Die Versammelten ließen beide hochleben. Beifall kostet nichts. „Sie werden dem Senat über die heutigen Geschehnisse detailliert Rechenschaft ablegen.“
Ich richtete mich auf. „Bürger, was hier geschehen ist, war nicht die Tat eines einzelnen Mörders. Es ist das Ergebnis einer Verschwörung, an der etliche Personen beteiligt waren. Einige von ihnen haben geraubt und gemordet, andere waren nur Handlanger, die durch ihre Untätigkeit und ihr Schweigen profitiert haben.“
Ich machte eine rhetorisch sinnvolle Pause, bevor ich den ersten Namen nannte. „Ich erhebe Anklage gegen Iola und die gesamte Priesterschaft des Orakels der Hekate!“
Für einen der ortansässigen Juristen war das zu viel. „Seit wann gehört es zu den Aufgaben eines Praetors, Anklage zu erheben? Das ist eine Schande! Ein Beispiel römischer Selbstherrlichkeit, um nicht zu sagen römischer Tyrannei!“ In der Zuschauermenge erhob sich zustimmendes Gemurmel.
„Untersteh dich, ihn zu verhaften oder hinrichten zu lassen!“, zischte Pompeius mir zu. „Ich brauche diese Leute noch.“
„Keine Sorge“, flüsterte ich zurück. Mit genau diesem Vorwurf hatte ich gerechnet und mich darauf vorbereitet. „ Bürger! „, rief ich und legte ein Höchstmaß an Verachtung in meine Stimme, „ich kann euch gar nicht sagen, wie gern ich es gesehen hätte, wenn ein Bürger aus eurer Mitte im Interesse der Allgemeinheit vorgetreten wäre und diese Verbrecher angeklagt hätte, doch es hat sich niemand gefunden, diesen mutigen Schritt zu tun. In den zehn Jahren, in denen diese ungeheuerlichen Verbrecher nun schon am Werk sind, hat niemand seine Stimme erhoben! Deshalb sehe ich mich genötigt, die Aufgabe zu übernehmen, an der ihr so jämmerlich gescheitert seid!“
In Anlehnung an Cicero wechselte ich zu einem sarkastischen Tonfall. „Sollte indes einer von euch eine Anklage vorbereitet haben und bereit sein vorzutreten, sage ich: Nur zu! In dem Fall nehme ich liebend gerne wieder auf meinem Stuhl Platz und übernehme die Leitung der Verhandlung.“ In einer weit ausholenden Geste legte ich eine Hand an mein Ohr, beugte mich der Menge zu und tat so, als würde ich lauschen. „Wie bitte? Keine einzige Meldung?“ Ich nahm die Hand wieder herunter. „In dem Fall gestattet ihr sicher, dass ich fortfahre.“ Ich wandte mich an meine Liktoren. „Bringt die Angeklagten her!“ Die Liktoren zogen los und kehrten mit Iola und ihrer Schar zurück. Nach mehreren Nächten in Gewahrsam sahen sie ziemlich mitgenommen aus. Wenigstens waren sie diesmal nicht in Begleitung ihrer Hunde.
„Iola, ich klage dich und all deine hier versammelten Komplizen des verabscheuungswürdigsten Verbrechens an, nämlich des Mordes, und zwar nicht nur eines
Weitere Kostenlose Bücher