Das Orakel des Todes
persönlich in Augenschein genommen. Wir haben direkt über der Kammer des Heiligtums einige Lampen und etwas Abfall entdeckt - ein eindeutiger Hinweis auf die Stelle, wo Iolas Komplizin sich als Hekate ausgegeben und die falschen Weissagungen verkündet hat. Ich möchte jetzt einige Würdenträger dieser Gegend bitten, sich den Belüftungstunnel anzusehen und zu bestätigen, dass alles von mir Behauptete der Wahrheit entspricht. Ich habe eine Leiter bereitstellen lassen, und meine Männer werden euch mit Fackeln den Weg leuchten.
Die Ausdauernden unter euch mögen vielleicht den Wunsch verspüren, den Tunnel in voller Länge abzugehen, aber es ist ein langer Marsch von etwa zwei Meilen hin und zurück.“
Wie nicht anders zu erwarten, waren etliche der prominenten und weniger prominenten Anwesenden darauf erpicht, sich den wundersamen Tunnel anzusehen. Ich setzte eine Unterbrechung der Verhandlung an, woraufhin die Menge zu den Verkaufsständen stürzte, während ich mich mit Pompeius und Cato in einen der Innenräume zurückzog, wo wir ungestört etwas trinken konnten. Römische Magistrate sollen während einer Gerichtssitzung eigentlich weder Alkohol trinken noch etwas essen, doch ich habe noch nie gesehen, dass diese Regel strikt eingehalten worden wäre. Allerdings ließen die meisten Amtsträger bei der Missachtung der Vorschrift eine gewisse Diskretion walten.
„Bis jetzt hält sich die Entrüstung ja in Grenzen“, stellte ich fest. „Ich hatte mit Schlimmerem gerechnet.“
„So wäre es auch gekommen“, stellte Pompeius fest, - wenn wir nicht hier wären.“
„Da hast du natürlich Recht“, gab ich zu. „Die Anwesenheit schwer bewaffneter römischer Soldaten hat einen nicht zu unterschätzenden Beruhigungseffekt.“
Julia gesellte sich zu uns. „Ich muss sagen, dies ist die seltsamste Gerichtsverhandlung, an der ich je teilgenommen habe.“
„Die übliche Form kommt angesichts der Situation nicht in Frage“, erklärte ich ihr.
„Aber ich frage mich“, fuhr sie fort, „wie du ohne die Einsetzung von Geschworenen ein Urteil verkünden willst.“
„Keine Sorge, Liebste, das kriege ich schon hin.“ Meine Antwort stellte sie keineswegs zufrieden, aber sie hütete sich, mich in Anwesenheit zweier hochrangiger Römer auszuquetschen. So etwas gehörte sich nicht für römische Ehefrauen, und für patrizische Ehefrauen schon gar nicht. Sie musste wohl oder übel die Anstandsregeln wahren und sich gedulden. Im privaten Kreis allerdings kümmerten sie und die anderen Frauen sich einen feuchten Kehricht um diese Regeln.
Als man uns übermittelte, dass die Leute von ihrer Erkundung des Tunnels zurückkehrten, begaben wir uns wieder hinaus, und ich erklärte die Pause für beendet.
„Habt ihr euch überzeugt“, wandte ich mich an dir Rückkehrer, „dass die Gegebenheiten da unten so sind, wie ich sie beschrieben habe?“
„Ja, das haben wir, Praetor“, antwortete einer der örtlichen Würdenträger, der der Sprecher der Gruppe zu sein schien. „Aber es ist uns ein Rätsel, wie derjenige, der sich in betrügerischer Absicht als Hekate ausgegeben hat, an die Stelle über dem Heiligtum gelangt sein soll.“
„Sobald die Männer zurückkehren, die den Tunnel in voller Länge abmarschieren, werden sie bestätigen, dass er am Boden eines nach dem ersten Augenschein tiefen und breiten Brunnens mündet, der jedoch in Wirklichkeit eine Art Mundus ist. Dieser befindet sich auf dem Anwesen einer gewissen Porcia, die in dieser Gegend wohl bekannt ist.“ In der Menge erhob sich ein lautes Gemurmel.
„Bringt Porcia her!“, wies ich meine Liktoren an. Sie stapften los und kehrten kurz darauf mit ihr zurück. Sie war fuchsteufelswild.
„Praetor!“, schrie sie, bevor ich irgendetwas sagen konnte. „Was soll das hier für eine Veranstaltung sein? Eine ordentliche Gerichtssitzung jedenfalls nicht! Du darfst doch nur Fälle verhandeln, in die Bürger und Fremde verwickelt sind! Zu dem, was du hier veranstaltest, hast du weder das Recht noch die Amtsgewalt!“ Aus der Menge erhob sich zustimmendes Gegrummel.
„Du irrst, Porcia. Du bist in der Tat eine Frau mit Bürgerstatus, aber sie“, ich zeigte auf Iola, „hat mir selber erzählt, dass sie aus Thrakien stammt. Also ist sie Ausländerin, was wiederum bedeutet, dass diese Angelegenheit sehr wohl in meinen Zuständigkeitsbereich fällt. Und jetzt schwöre den Eid!“
Vor Wut schäumend folgte sie meiner Aufforderung. „Sehr gut“, sagte ich.
Weitere Kostenlose Bücher